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PR NEO 0050 – Rhodans Weg

PR NEO 0050 – Rhodans Weg

Titel: PR NEO 0050 – Rhodans Weg
Autoren: Frank Borsch
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einer von ihnen bin: ein Mutant.«

3.
    14. Mai 2037, früher Morgen
    Lakeside, am Goshun-See
     
    Er kann dir nichts tun!
    Sue Mirafiore sprach den Satz lautlos, während sie sich durch den Untergrund von Lakeside arbeitete. Immer und immer wieder:
    Er kann dir nichts tun!
    Jedes Mal, wenn sie den Satz sagte, wanderte ihre freie Hand in die Hosentasche und schloss sich um den Griff des Messers. Sie hatte es in dem Trümmerhaufen gefunden, der von der Küche des Instituts geblieben war.
    Mit der anderen Hand schleppte sie einen Fünfliterbehälter mit Wasser. Zwei Riegel und eine Tafel Schokolade hatte sie sich in die übrigen Taschen gestopft. Mehr hatte sie nicht greifen können, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Der Duft, der ihr von der angerissenen Verpackung der Schokolade entgegenstieg, ließ sie schwindeln. Aber sie beherrschte sich. Ihre mageren Vorräte waren für den Mann bestimmt, dem sie zu verdanken hatten, dass sie nicht längst in den Entladungen ihrer eigenen Paraenergien vergangen waren: Monk, den Mörder. Der religiöse Spinner, der glaubte, der Jüngste Tag wäre angebrochen und nur er könnte Satans Heerscharen stoppen.
    Vor nicht allzu langer Zeit hätte Sue ihn dafür ausgelacht, jetzt war sie sich nicht mehr sicher, wer von ihnen der Spinner und wer der Realist war.
    Sue kam nur langsam voran. In unregelmäßigen Abständen war der Weg versperrt. Einzelne Abschnitte der Decke waren eingestürzt, stählerne Materialschränke lagen schräg auf dem Boden. Folgen der Paraentladungen. Sue kletterte vorsichtig über die Hindernisse. Sie war von jeher ängstlich gewesen, zerbrechlich. Jetzt war ihr, als würden jeden Augenblick die Knie unter ihr nachgeben. Sie hatte zusammen mit Sid ein paar Stunden Ruhe gefunden, war in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen, der an Bewusstlosigkeit grenzte. Trotzdem fühlte sie sich unendlich müde.
    Das Virus, das sie wie alle anderen Mutanten in sich trug, musste daran schuld sein. Es spielte mit ihren Genen, mit ihrer Gabe und damit mit Sue selbst. Das Virus hatte Türen in ihr geöffnet, die niemals hätten geöffnet werden dürfen. Und es war noch nicht am Ende. Sie spürte es. Es arbeitete in ihr. Das Virus manipulierte den nicht kodierenden Teil ihrer DNA, schaltete nach Belieben Gene ein und aus ... und machte aus ihr was?
    Sie konnte es nicht sagen. Sie war wie taub. Sid hatte seine Teleportationsgabe verloren und war zum Telekineten geworden. Er hatte Glück gehabt. Vielleicht hatte sie es auch. Oder würde das Virus sie verbrennen?
    Sue wünschte sich, dass John bei ihr wäre, sie in den Arm nahm. John hätte eine Lösung gewusst. Zumindest hätte er die richtigen Worte gefunden. Doch John Marshall war irgendwo in Lakeside unterwegs und suchte vermisste Mutanten.
    Sue zwängte sich unter einer Stahlbetonstrebe durch. Der graue Staub, der sich wie ein Leichentuch über alle Oberflächen gelegt hatte, verklebte ihr die Mundhöhle, drang in ihre Lunge, ließ sie stoßweise husten.
    Für den Augenblick war sie vor dem Virus geschützt. Dank dem fetten Latino Moncadas, der sich Monk nannte. Monk war ein Antimutant. Er war imstande, die Paragabe anderer Mutanten zu blockieren. Wenn man das so bezeichnen konnte. Was für eine »Gabe« war es schon, etwas zu verhindern? Eine wahre Gabe heilte oder schuf. Doch in ihrer Lage war Monk die Rettung. In Lakeside war Ruhe eingekehrt. Und was immer in den Genen Sues und der übrigen Mutanten toben mochte, es würde erst zum Ausbruch kommen, wenn Monk versagte.
    Doch das würde er irgendwann. Monk mochte ein Mörder sein, er war aber auch ein Mensch. Und Menschen waren fehlbar und schwach. Seine Kräfte würden erlahmen, und dann ...
    Ein Knacken ließ Sue herumfahren. Sie spähte in den Korridor. Sie erkannte nur graue Schemen, die in Schwärze übergingen, wünschte sich, dass die verfluchte Notbeleuchtung sich ihren Namen verdient hätte, umklammerte das Messer in ihrer Tasche so fest, dass es schmerzte, und rief: »Ist da wer?«
    Keine Antwort.
    Sue wollte gerade ihren Weg fortsetzen, als sich aus dem staubigen Grau eine Gestalt löste. Es war ein Mädchen, eine junge Frau. Sie hatte langes, krauses Haar und trug einen Kittel, wie ihn die Ärzte angehabt hatten, die längst aus Lakeside geflohen waren. Der Kittel war ihr viel zu groß, sein ehemals strahlendes Weiß lugte nur noch vereinzelt aus dem allgegenwärtigen Grau.
    »Mirage!«, rief Sue. »Du hast mir einen ganz schönen Schreck
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