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PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen

PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen

Titel: PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen
Autoren: Andreas Brandhorst
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man feststellen, ob es auf der anderen Seite noch Luft gab. Ohne Luft, so hatte Darhel betont, konnte man nicht mehr atmen, und wenn man nicht mehr atmen konnte, starb man. Wie seltsam. Es gab so viele Dinge, durch die man sterben konnte, aber nur wenige, die Leben gaben.
    Jorgal lauschte über das Singen hinaus und vernahm ein Echo, das auf die Präsenz von Luft hindeutete. Eins hatte er inzwischen gelernt: Kein Echo bedeutete Leere.
    Es zischte, als Jorgal mit dem leisen Lied die Siegel löste, und anschließend brauchte er nur noch an dem Hebel zu ziehen, um die Tür zu öffnen. Licht fiel ihm entgegen, nicht annähernd so hell wie in den Räumen vor der Kollision, aber hell genug auch für seine Augen, um wieder zu sehen.
    Ein Toter schwebte zwei Meter vor ihm, wie von unsichtbaren Händen in der Leere festgehalten. Eine fehlende Melodie wies Jorgal darauf hin, dass es jenseits der Tür keine Schwerkraft mehr gab. Darum fiel der Tote nicht zu Boden.
    Darhel verharrte neben Jorgal.
    »Einer der Normalen«, sagte er, als er den Toten bemerkte. Er benutzte diesen Ausdruck nicht zum ersten Mal, und erneut wunderte sich Jorgal darüber, denn das Wort bedeutete, dass er selbst, der Maschinenflüsterer, nicht normal war. Und das erschien ihm so seltsam wie gewisse andere Dinge, denn er fühlte sich normal, hatte sich nie anders gefühlt. Weil du nichts anderes kennst, lautete Darhels Erklärung, die aber eigentlich gar nichts besagte, denn wie sollte er etwas anderes kennen? Schließlich war er immer Jorgal gewesen, seit seiner Geburt, immer verbunden mit dem Gesang der Maschinen.
    »Dort gibt es keine Kraft-die-nach-unten-zieht«, sagte Jorgal. Er fand diese Bezeichnung viel treffender, fügte aber trotzdem den von Darhel verwendeten Fachausdruck hinzu. »Keine Schwerkraft.«
    Darhel nickte, und dabei schien sein Kopf sich vom Körper lösen zu wollen. Als große Kugel steckte er auf einem dünnen, von flexiblen Stützschienen verstärkten Hals und wirkte sehr schwer. Vielleicht lag es daran, dass so viel Wissen darin steckte. Welches Gewicht hatte Klugheit?
    »Da drüben ist die Kapsel«, sagte Darhel. Es klang sehr erleichtert. »Ich habe mich also nicht geirrt.«
    Jorgal blickte in die entsprechende Richtung und sah auf der gegenüberliegenden Seite des Raums eine silberne Kugel, aus der an mehreren Stellen Dinge ragten. Düsen, wusste er. Manövrierdüsen. Und in der Kugel wartete ein schlafendes Lied.
    »Damit haben die Normalen die Außenbereiche des Schiffes gewartet«, fügte Darhel hinzu. »Die Kapsel kann uns von hier fortbringen.«
    Jorgal sah zur rechten Seite, zum breiten Fenster - von dort kam das Licht, das seine Augen sehen ließ. Es stammte nicht nur von Sternen und einer fernen, kalt leuchtenden Sonne, sondern auch von glühenden Objekten im Weltraum. Jorgal glaubte zu verstehen.
    »Du hattest recht, Darhel«, sagte er. »Es gibt noch andere Fragmente. Aber sie... brennen?«
    Darhel schaute ebenfalls zum Fenster, und ein Schatten schien durch sein Gesicht zu streichen. Jorgal glaubte, Trauer und Niedergeschlagenheit zu erkennen, doch Zuversicht schob beides rasch beiseite. »Wir müssen in jedem Fall aufbrechen. Hier können wir nicht bleiben. Die strukturelle Instabilität nimmt immer mehr zu. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dieser Teil des Schiffes auseinanderbricht.« Darhel deutete zur Kapsel. »Kannst du sie erreichen und einsatzbereit machen?«
    »Ich fühle das Lied in ihr«, erwiderte der Maschinenflüsterer. »Es schläft, und ich kann es wecken.«
    »Dann lass uns keine Zeit verlieren. Ich helfe den anderen.«
    Jorgal stieß sich mit allen drei Beinen von der Wand ab und flog der Kapsel entgegen. Er kam dicht an dem Normalen vorbei, sah das im Tod erschlaffte, leere Gesicht, die trüben, blicklosen Augen, dann die klaffende Wunde im Hinterkopf, das Blut weiter unten, eine Wolke aus roten Tropfen, die bis zur Wand reichten, bis zu einem großen Fleck an einer kantigen Stelle. Als es zu der Kollision gekommen war, musste der Mann mit dem Hinterkopf an die Kante geprallt sein. Wie viele Gesichter der Tod doch hatte...
    Jorgal erreichte die Kapsel, hielt sich in der Schwerelosigkeit an einer der Düsen fest und blickte zurück. Darhel und die Seherin Memerek - die grazile, geschmeidige Memerek mit den großen smaragdgrünen Augen, die auch im Dunkeln sahen, mit dem weichen Hautflaum und den gelenklosen, flexiblen Fingern - halfen den anderen: Tanira, Hilaila, Tortek, Mindahon und den
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