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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse
Autoren: Wim Vandemaan
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Vorstellung, die Stadt verschmölze zu einem einzigen Brennglas, durch das ihn ein fernes Wesen betrachtete, ein allem Leben fremdes, totes Auge.
    Noch war ihm kein Mensch, kein Sayporaner auf den Straßen begegnet. Was, wenn die ganze Stadt nichts war als eine Halluzination, eine holografische Fata Morgana? Wenn Chourtaird mit ihm ein bizarres Experiment durchführte?
    Hin und wieder fuhr er in den Daakmoy an einer Etage vorbei, auf der er Zofen und Junker, manchmal auch Sayporaner sah. Routh beauftragte Puc, diese Orte im Gedächtnis zu behalten; er würde gelegentlich dorthin zurückkehren. Die offene Begegnung mit den Auguren scheute er; er hätte das Gefühl gehabt, sich zu stellen und den Sayporanern auszuliefern.
    Er verließ eben einen weiteren Daakmoy. Banteira war längst untergegangen. Gad stand am Himmel, Gadomenäas Mond. Der Himmel war von einer immer noch bestürzenden Leere, schwarz und hohl. Nur die beiden Nachbarplaneten Gadomenäas im Weltenkranzsystem, Saypor und Druh, waren sichtbar. Sie hielten seit Ewigkeiten den gleichen Abstand.
    Er hatte noch nicht einmal in einem der Daakmoy übernachtet. Auch für diese Nacht wollte er einen Park aufsuchen, offenes Gelände. Hoch über ihm flog eine Pasine, die langsam zu Boden sank. Routh folgte ihr. Das unbemannte Flugzeug ging auf einem Platz nieder, der mit abstrakten Statuen oder Gestellen bestückt war.
    Die Pasine verursachte kein Geräusch, als sie aufsetzte. Routh überlegte, ob er sie auseinander- und neu falten sollte; er hatte mittlerweile Übung im Umbau dieser Flugkörper zu Zelten oder Iglus.
    Da bemerkte er an einem der Gestänge eine Bewegung. Eine Terranerin benutzte es als Turngerät.
    Routh schlenderte betont langsam auf die Turnerin zu. Sie führte drei, vier rasche Felgumschwünge aus, machte eine Riesenfelge rückwärts und sprang daraus mit einem doppelten Salto auf den Boden, wo sie, die Arme zur Seite gestreckt, mit nach oben gerecktem Kinn stehen blieb.
    Sie mochte zwanzig, einundzwanzig Jahre alt sein und hatte rubinrotes Haar, die linke Seite kürzer geschnitten als die rechte, wo das Ohr bedeckt lag. Ihr Haar war zu einem Wirbel gekämmt. Starke, fast überzeichnete Brauen, sehr helle Haut. Das Gesicht wirkte erwachsen. Die sehr gerade Nase dominierte es. Die Andeutung eines Lächelns, das niemand Bestimmtem galt, ihm schon gar nicht.
    Sie trug einen violetten Overall; das Oberteil ließ die Unterarme frei. Die Arme, die zugleich schmalen und fleischigen Hände, die sich nur leicht andeutenden Brüste ließen sie anders als das Gesicht kindlich wirken.
    »Guten Abend«, begrüßte er sie.
    Sie stand still, schaute ihn nicht an, sondern um eine Winzigkeit an ihm vorbei, so, wie man geistesabwesend das eigene Bild im Spiegel sah und nicht sah.
    Auf der Brust trug sie ein silbernes Amulett. Es stellte eine Fee oder eine ähnliche Sagengestalt dar, die kolibrischnell mit den Flügeln schlug.
    »Guten Abend«, gab sie seinen Gruß endlich zurück.
    Er hätte vor Erleichterung beinahe gelacht. Also waren doch Menschen in der Stadt. Sie redeten kurz miteinander, nichts von Bedeutung. Die junge Frau – sie hieß Vijen Beaujean – stellte sich als Friseurin vor und bot sich an, Routh das Haar zu machen.
    Derartige Handarbeit war kostbar; Routh verwies auf seine geringe Reisekasse. Er fragte, ob sie allein in der Stadt unterwegs sei; das war sie nicht. Sie nannte freundlich und arglos die Namen ihrer beiden terranischen Lebensgefährten, ihrer sayporanischen Ziehmutter und ihrer Zofe. Die Namen sagten ihm nichts.
    Er fragte, ob sie diesen oder jenen kannte, nannte einige Namen, die ihm in den Sinn kamen, und mischte Anicee darunter. Vijen schüttelte nachdenklich den Kopf.
    Irgendwann verabschiedete sie sich mit Handschlag. Ihre Hand war glatt und warm. »Willst du mit zu mir?«, fragte sie unverhofft, als sie einander schon losgelassen hatten.
    »Nein«, sagte er. »Ich gehe noch spazieren.«
    »Nun«, sagte sie und lächelte. »Ich wünsche dir ein erquickliches Spazieren.«
    Er verneigte sich leicht.
    Sie sagte: »Nun wird es ja nicht mehr allzu lange dauern.«
    »Sicher nicht«, sagte er und lächelte. Was mochte sie meinen? »Bis zum Morgen?«, fragte er höflich.
    Sie lachte und strich sich durch ihr rotes Haar. »Das auch. Bis zum Erwachen des Neuroversums, dachte ich.«
    »Das auch«, sagte er mit fester Stimme. »Das auch.«

Du hast sie gesehen
     
    Es war bereits der 5. November 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, obwohl
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