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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse
Autoren: Wim Vandemaan
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schön wie ein Türkis. Das Gewebe des Schemenkleids fühlte sich weich und warm an, als wäre es aus Haut gemacht. Es hing ihm wie ein Schal um den Hals und über die Brust. Die Enden hatte er über der Brust verknotet. Das Tuch hatte der Spiegelin zur Vervollständigung ihrer Mimikry gedient. Ihr Körper hatte die Erscheinungsform wandeln können; das Schemenkleid besorgte die äußerliche Anpassung.
    Routh wusste nicht, ob das Kleid ihm von irgendeinem Nutzen sein würde. Er hoffte es.
    Leider hatten seine Hoffnungen nie viel Eindruck auf den Gang der Dinge gemacht.
    Erst als das Rauschen hinter ihm leiser geworden war und sich fast ins Unhörbare verloren hatte, überlegte er, ob er sich noch einmal zu der Onuudoy umwenden sollte.
    Wozu?
    Die Spiegelin ruhte in ihrem metallenen Sarkophag, blind, wie nur der Tod blind machen konnte. Routh hatte sie dort bestattet.
    An die Coccularen, die die Wüste Vae-Bazents bewohnten, wollte er keinen Gedanken mehr verschwenden.
    »Puc aktiv!«, sagte er. Vor seinem inneren Auge tauchte der Mann im Smoking auf, das ewige Cocktailglas in der Hand. Die Gestalt saß auf einem Barhocker; ein Ellenbogen lag auf dem Tresen. Die Szene schwebte in der Luft, als hätte sie nur zufällig Anker geworfen in der Wirklichkeit.
    »Lösch die fliegende Landschaft aus meinem Gedächtnis«, forderte er die Projektion auf. »Lösch auch die Erinnerung an die Spiegelin.«
    Die künstliche Psyche des Implantmemos wurde im Wesentlichen von einem Extrakt aus seiner eigenen Hirnsubstanz erzeugt. Doch das bedeutete nicht, dass Puc seinen Bitten mit lauer Botmäßigkeit entsprach.
    Das werde ich nicht tun, sagte das Implantmemo denn auch. Deine mnemotische Struktur ist labil genug. Ein weiterer Löschprozess könnte sie ihre Integrität kosten.
    »Blabla«, machte Routh. »Sieh dir das an.« Er war stehen geblieben und stemmte die Hände in die Hüften. »Anboleis. Jetzt ist klar, warum sie die Stadt ohne Geheimnisse heißt.«
    So?, fragte Puc, glättete das Revers seines Anzugs und nippte vom Glas.
    »Siehst du das nicht? Es ist eine Stadt ganz aus Glas.«
    Warum auch nicht, sagte Puc.
    So war es. Der Daakmoy, der sich am Ausgang des Parks erhob, einer der Geschlechtertürme der Sayporaner, gehörte mit seinen knapp fünfhundert Metern zu den niedrigeren Exemplaren. Manche seiner Nachbargebäude ragten zwanzigmal so hoch auf. Einige von ihnen waren als Pyramiden gestaltet, andere als Zylinder mit rundem oder elliptischem Grundriss. Manche teilten sich in der Mitte in zwei Hälften, in drei oder vier Segmente. Andere kragten von Stockwerk zu Stockwerk weiter aus, balancierten ausladende Balkone in der Luft.
    Alles wirkte schwere- und mühelos gebaut, anmutig und elegant. Keine architektonische Idee dominierte, jedes Bauwerk ließ jedes andere gelten, alles schwebte in einer vollendeten, dabei unaufdringlichen Balance.
    Brücken, mal breit und straßenartig, mal filigran und in kühnen Bögen geschwungen, verbanden die Türme miteinander.
    Und tatsächlich alles – jede Fassade, jede Zwischenwand, Böden wie Decken, die Grundfläche der Balkone und die Brücken – war aus transparentem Material gefertigt, das andeutungsweise eingefärbt war in Rot und Blau, in Grün und Gold, ununterscheidbar, ob es aus sich selbst leuchtete oder das Licht Banteiras brach.
    Eine Stadt wie ein Hort aus Edelsteinen, aus Saphiren und Jaspis, Beryll, Topas und Amethyst.
    Die Stadt der Rattenfänger, dachte Routh. Das Gefängnis Anicees. Er versuchte, den Hass gegen die Entführer seiner Tochter wachzurufen und ihn auf ihre Stadt zu übertragen. Anboleis aber stand da, klar und in unverhülltem Glanz.
    Er konnte nicht anders, als sie zu bewundern.
     
    *
     
    Er hatte am Saum der Parklandschaft kurz gerastet und aus seinem Tornister getrunken. Gedankenverloren schob er den linken Mantelärmel bis zum Ellbogen hoch und rieb über die beiden kaum mehr sichtbaren Einstiche. Die Entzündung war ganz zurückgegangen; die Stellen juckten. Gutes Zeichen. Er kratzte ein wenig.
    Das Handgelenk, das auf der fliegenden Landschaft von einem Stein getroffen worden war, zeigte sich fast schmerzfrei und wieder gut beweglich. Er betrachtete das Implantmemo am Armgelenk, das einer alten Uhr ähnelte. »Puc aktiv!«, sagte er. »Wir müssen uns beraten.«
    Die Biopositronik war alles andere als ein militärisches Gerät, aber sie verfügte über einen ungeheuren Datenschatz.
    Und sie war lernfähig.
    Puc erschien und wendete das Cocktailglas
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