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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse
Autoren: Wim Vandemaan
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die in der seltsamen Anomalie niemand kannte und wo sie keine Gültigkeit hatte außer im Gedächtnis der galaktischen Menschheit.
    Drei Wochen waren verstrichen, und die verlorene Zeit schmerzte Routh wie eine schwärende Wunde. So geht es nicht weiter.
    Routh hatte sich in die Tiefe von Anboleis vorgearbeitet. Es fehlte der Stadt jede urbane Struktur, wie Routh sie von Terra oder anderen Planeten kannte. Er stand an diesem Morgen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, an der Glasfront.
    Wie viele Geschlechtertürme lagen zwischen ihm und dem Horizont? Hundert? Zweihundert? Tausend? Es war nicht abzuzählen. Wann immer er versuchte, einen Gegenstand, eine Person in einem der gegenüberliegenden Bauwerke zu lokalisieren, entglitt sie seiner Vorstellung von Nähe, Ferne, Raum und schien sich ortlos im Irgendwo zu bewegen. Unfassbar, unbegreiflich.
    Als einziger Orientierungspunkt blieb die Sonne.
    Banteira stand knapp über dem Horizont. Wie immer zeigte sie sich als roter, konturloser Flecken. Sie glich einem ungegliederten Tier, einer Amöbe, die den Himmel hinaufkroch. Die Wolken glühten wie Bronze. Im Osten und Westen funkelten die beiden Nachbarplaneten Gadomenäas im Weltenkranz.
    Wie fühlst du dich?, fragte Puc.
    Ich weiß nicht. Warum fragst du?
    Viele halten es für eine gute Strategie, sich in die Denkweise eines Feindes einzufühlen. Wie sieht ein Sayporaner einen solchen Sonnenaufgang? Wie sieht er Anboleis? Welche Vorstellung hat er von seiner Stadt, wenn er seine Beute hier einquartiert? Was will er die Gäste sehen lassen? Jemand wie dich?
    Routh dachte nach, ohne die Augen vor dem alles umfassenden gläsernen Labyrinth zu verschließen. »Die Stadt ist still. Wäre man auf dem Grund des Meers, es könnte nicht ruhiger sein. Ruhig und abgeschieden. Ein Kloster, in dem nur einige letzte Mönche wohnen, die ein immerwährendes Schweigegelübde abgelegt haben. Der verlassene Palast einer erloschenen Dynastie. Kein Vogel am Himmel, kein Flugzeug; kein Raumschiff landet. Als wäre man unerreichbar. Aus der Welt. – Meinst du solche Gefühle?«
    Weiter. Mach dir deine Gedanken.
    »Man sieht alles. Es ist nichts Unsichtbares hier. Weder im Großen noch im Kleinen. Ich habe keine Insekten bemerkt, keine Spinnen. Vielleicht gibt es überhaupt keine Mikrofauna. Keine Bakterien. Keine Sporen. Keine Viren. Ein steriler Miniaturkosmos.«
    Eine Spekulation. Aber warte, sagte Puc und schaute nachdenklich in sein Glas. Soweit ich sehe und es den Informationen deiner Nervenbahnen entnehmen kann, hast du übrigens recht. Was, wenn die ganze Stadt ein Versteck ist? Ihr Name nur eine Finte? So durchsichtig, wie sie in der Welt steht, traut niemand ihr ein Geheimnis zu und macht sich anderswo auf die Suche.
    »Was sollte hier auch verborgen werden?«
    Ich weiß nicht. Die Entführten?
    Routh lachte verächtlich. »Vor wem sollten die Auguren sie verbergen? Auf Terra dürfte nichts und niemand die Position des Weltenkranzsystems kennen. Besuch von auswärts erwarten die Auguren nicht. Und Menschen mit ausgereiften, älteren Gehirnen sind vom Transitparkett nach Gadomenäa abgewiesen worden.«
    Ja, sagte Puc. Ohne den Eingriff des Implantmemos in Rouths Gedächtnis, der die meisten seiner Inhalte gelöscht hatte, hätte auch er es nicht auf diesen Planeten geschafft. Puc hatte ihn vorübergehend zum Kind machen müssen.
    Ein Vorgehen, für das Routh würde zahlen müssen. Menschliche Gehirne waren für solche Operationen nicht geschaffen.
    Während er in die transparente Leere der Stadt blickte, durchfuhr ihn ein plötzlicher Schauder. »Wir Terraner sind es gewohnt, nach dem Wesen von allem zu fahnden, nach seinen geheimsten Beweggründen. Wir glauben, wenn wir jemandes Geschichte kennen, haben wir ihn begriffen und verstehen, was und warum er es tut. Vielleicht haben die Sayporaner all das gar nicht: Sie sind nichts; sie haben keine Geschichte; sie verfolgen keine Absicht. Ihre abstrusen Technologien sind ihnen zugefallen, sie spielen nur damit. Sie haben keinen Plan, folgen nur ihren Launen. Was dann?«
    Puc hob sein Glas und grinste breit. Dann sind wir selbstverständlich verloren.
    »Sicher.«
    Puc nahm einen imaginären Schluck von seinem imaginären Getränk. Ich denke, sagte er bedächtig, dass uns im Laufe unserer Geschichte etwas so unsäglich Fremdes, wie du es nun fürchtest, nie begegnet ist. Auch nicht in Form der Sayporaner. Übrigens sind wir dem ganz Fremden, Unbegreiflichen vielleicht doch schon
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