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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
Autoren: Tanja Weber
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kommentarlos auf. Das konnte warten. Beate konnte warten. Vielleicht würde sie sich auch gar nicht an ihr rächen, überlegte Gudrun von Rechlin. Das stand doch gar nicht im Vordergrund. Sie musste an das Geld kommen und den Mann im Keller möglichst elegant loswerden. Und Harald sollte ebenfalls verschwinden.
    Jetzt erst fiel ihr Blick auf das kleine Köfferchen, mit dem Harald vergangene Woche angereist war. Es stand vor der Küchentür, nahe der Treppe. Sie ging hin und hob es an. Es war schwer. Also hatte er gepackt. Er wollte abreisen und sie im Stich lassen. Augenblicklich spürte Gudrun ihre Enttäuschung darüber, dass sie und Harald sich in den wenigen Tagen, die sie zusammen verbracht hatten, so fremd geworden waren. Sie verstand nicht, warum er sich von ihr abgewendet hatte. Sie hatte immer geglaubt, dass sie füreinander geschaffen waren, sie hatten sich doch geschrieben und ihrer Liebe versichert. Und die Nacht, als sie miteinander geschlafen hatten – sie war so glücklich gewesen, so befreit, dass sie dieses Gefühl noch einmal erleben durfte. In ihrem Alter. Es war auch beschwerlich gewesen, weil sie beide gebrechliche Körper hatten, aber dann hatte sie eine Befriedigung erlebt, die sie nicht mehr gekannt hatte. Was war danach schiefgelaufen?
    Gudrun von Rechlin setzte sich mit einem Glas Leitungswasser auf ihren Stuhl in der Küche und starrte auf das Köfferchen. Harald war hergekommen, weil sie ihn gebraucht hatte. Sie hatte ihm nur gesagt, dass sie den Mann hatte, der sie um ihr Vermögen gebracht hatte. Was genau genommen auch nicht stimmte, denn in Wahrheit hatte Volkmar bereits ihr Vermögen durchgebracht. Dieser Hans Günther Heims hatte ihr lediglich den Todesstoß versetzt. Vielleicht hatte sich Harald falsche Vorstellungen von seiner Aufgabe gemacht, vielleicht hatte er gehofft, dass er schneller zu seinem Anteil kam, aber nun war da eben Julius’ Leiche gewesen. Ein Faktor, den sie ihm verschwiegen hatte, aber mit dem sie auch nicht gerechnet hatte. Harald hatte ihr in der Folge deutlich zu spüren gegeben, wie sehr er ihr Tun missbilligte. Und dann war er verschwunden. Jeden Tag ein bisschen länger. Auch jetzt wieder. Sie hätte gerne gewusst, wo er sich die Zeit vertrieb. Schließlich war er hier in der Fremde.
    Sie wartete nicht lange auf Harald. Sie hielt es nicht aus, auf ihrem Stuhl zu sitzen und Däumchen zu drehen. Sie musste etwas tun. Die Dinge regeln.
    Plötzlich hörte sie unten die Haustür klappen. War das Harald, der von wo auch immer zurückkam?
    *
    Sein erster Eindruck war doch richtig gewesen. Sie war sein rettender Engel. Zwar war sie nicht das, für was er sie bei ihrer ersten Begegnung gehalten hatte: eine leuchtende ätherische Erscheinung, aber sie war doch sein rettender Engel. Im Moment kniete sie vor ihm und versuchte mit zitternden Händen, den kleinen Schlüssel in das Schloss der Handschellenzu stecken, aber weil sie so ungeduldig war, wollte es ihr nicht gelingen. Er nahm ihr die Schlüssel aus der Hand, aber sie ließ vor Nervosität zu früh los, so dass die Schlüssel auf den Boden fielen und unter die Heizung rutschten.
    »Mach schon, verdammt!« Er konnte sich nicht beherrschen. Er war so nah dran, freizukommen, dass er ihre Ungeschicklichkeit und ihre fahrigen Gesten nicht ertragen konnte. Sie war in miserablem Zustand. Offenbar hatte sie eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter gehabt, über die Wange zog sich eine tiefrote Schramme, sie hatte Kratzer am Hals und einen Bluterguss auf dem Wangenknochen. Sie wollte ihm nicht sagen, was passiert war, und auch nicht, wie sie an die Schlüssel gekommen war. Aber es war ihm auch scheißegal, Hauptsache, er kam hier weg.
    Sie hatte die Schlüssel vom Boden gefischt und hielt sie ihm hin. In dem Moment öffnete sich die Kellertür. Die Alte stand im Türrahmen und blickte entgeistert zu ihnen hinüber. Er versuchte, Annette die Schlüssel zu entreißen, aber sie hatte sich vor ihn geworfen, als wollte sie ihn vor ihrer Mutter schützen. Die Alte sagte kein Wort, aber sie kam mit unsicheren Schritten näher. In der einen Hand hielt sie einen geknoteten Ledergürtel, in der anderen eine Gartensichel. Noch ehe er begreifen konnte, was sie damit vorhatte, begann Annette aus vollem Hals zu schreien.
    *
    Stifter beobachtete das Fest aus der Entfernung. Er war auf seine eigene Toilette gegangen, um das Bier, das ihm auf die Blase drückte, loszuwerden. Jetzt stand er neben dem Holunderbusch vor seiner Tür und
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