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Post Mortem

Post Mortem

Titel: Post Mortem
Autoren: Jonathan Kellerman
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von dem Gestank schmutziger Windeln absah.
    Genauso plötzlich, wie sie aufgetaucht waren, verkündete Liddie, dass sie ihre Zelte abbrechen würden.
    Patty war erleichtert, aber auch enttäuscht. »Das hast du gut gemacht, Lid, sie ist eine richtige kleine Lady.« Sie stand vor ihrer Haustür und sah zu, wie Lydia das Kind mit einer Hand nach draußen zog und in der anderen einen ramponierten Koffer schwenkte. Ein Yellow Cab stand mit laufendem Motor am Bordstein und spie Abgase aus. Vom Boulevard weiter unten war Lärm zu hören. Auf der anderen Straßenseite schlurfte ein Penner vorbei.
    Lydia warf ihre Haare zurück und grinste. Ihr früher mal überwältigendes Lächeln wurde von zwei ernsthaft gesplitterten Schneidezähnen beeinträchtigt.
    »Eine Lady? Du meinst, nicht so wie ich, Pats?«
    »Ach, hör doch auf und nimm es als Kompliment«, sagte Patty.
    »Hey«, erwiderte Lydia, »ich bin eine Schlampe und auch noch stolz darauf.« Sie schüttelte ihren Busen und wackelte mit dem Hintern. Lachte so laut, dass der Taxifahrer den Kopf drehte.
    Tanya war zwei, aber sie musste gewusst haben, dass Mommy sich danebenbenahm, denn sie zuckte zusammen. Patty war sich ganz sicher.
    Patty wollte sie in Schutz nehmen. »Ich wollte nur sagen, dass sie ein tolles Kind ist, du kannst sie jederzeit mitbringen.« Sie lächelte Tanya an, aber das Kind schaute auf den Bürgersteig.
    Liddie lachte. »Auch mit all den verschissenen Windeln?«
    Jetzt starrte das Kind in die Ferne. Patty ging zu ihr und legte ihr die Hand auf den kleinen Kopf.
    Tanya wollte schon zurückzucken, erstarrte dann aber.
    Patty beugte sich zu ihr hinunter und sagte leise: »Du bist ein braves Mädchen, eine richtige kleine Lady.«
    Tanya verschränkte die Hände vor dem Bauch und brachte das schmerzlichste Lächeln zustande, das Patty je gesehen hatte.
    Als ob eine innere Stimme sie in den Benimmregeln unterwiese, die im Verhältnis zwischen Nichte und Tante angebracht sind. Lydia sagte: »Verschissene Windeln sind okay? Cool, das werd ich mir merken, Pats, für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir hier noch mal aufkreuzen.«
    »Was gibt's denn in Juneau?«
    »Schnee.« Lydia lachte, und das grell pinkfarbene Trägertop bekam ihre tanzenden Titten kaum in den Griff. Sie hatte jetzt Tattoos, und das nicht zu knapp. Ihre Haare sahen trocken und spröde aus, ihre Augen wurden allmählich körnig an den Rändern und die Oberschenkel ihrer langen Tänzerinnenbeine an den Innenflächen schwammig. Das alles, zusammen mit den abgebrochenen Zähnen, ließ keinen Zweifel daran, dass sie ihre besten Jahre bald hinter sich hätte. Patty fragte sich, was geschehen würde, wenn Lydias gutes Aussehen sich endgültig verabschiedete.
    »Halt dich warm«, sagte sie.
    »Oh, yeah«, entgegnete Lydia. »Ich hab da meine Methoden.« Sie packte das Handgelenk des kleinen Mädchens und zog sie zu dem Wagen.
    Patty ging hinter ihnen her. Bückte sich, um mit dem Kind auf Augenhöhe zu sein, während Lydia dem Taxifahrer den Koffer gab. »War schön, dich kennen gelernt zu haben, kleine Tanya.«
    Das klang unbeholfen. Was wusste sie denn schon von Kindern? Tanya biss sich auf die Unterlippe und kaute auf ihr herum.
    Jetzt, an einem heißen Juniabend, waren dreizehn Monate vergangen, in der Luft lag ein Gestank, den Patty nicht identifizieren konnte, und das Kind stand wieder vor ihrer Tür, so klein wie eh und je, trug ausgebeulte Jeans und ein ausgefranstes weißes Top, und ihre Haare waren lockiger und eher mittel- als weißblond.
    Sie biss und kaute genau wie beim letzten Mal auf ihrer Lippe. Hielt einen Stoff-Orka im Arm, dessen Nähte sich auflösten. Diesmal starrte sie Patty direkt an.
    Ein grollender roter Firebird war an derselben Stelle geparkt, wo das Taxi gestanden hatte. Eine dieser frisierten Kisten mit einem Heckspoiler, dicken Reifen und Drahtklammern, mit denen die Motorhaube festgezurrt war. Die Motorhaube pochte wie ein flimmerndes Herz.
    Als Patty auf den Wagen zulief, brauste der Firebird los. Lydias platinblonde Zotteln waren durch die getönte Scheibe des Beifahrerfensters kaum zu erkennen.
    Patty glaubte, ihre Schwester habe ihr zugewinkt, war sich aber nicht ganz sicher.
    Das Kind hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
    Als Patty zu ihr zurückkam, griff Tanya in eine Hosentasche und hielt ihr ein Briefchen hin.
    Billiges weißes Papier mit dem roten Briefkopf des Crazy Eight Motor Hotel in Holcomb, Nevada.
    Darunter Lydias Handschrift, viel zu elegant
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