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Post Mortem

Post Mortem

Titel: Post Mortem
Autoren: Jonathan Kellerman
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für jemanden, der nur die Junior Highschool absolviert hatte. Lydia hatte während dieser neun Jahre nie besondere Mühe darauf verwandt, Schönschreiben oder irgendwas sonst zu lernen, aber manche Dinge flogen ihr zu.
    Das Kind begann zu wimmern.
    Patty ergriff ihre Hand - kalt, winzig und weich - und las den Brief.
    Liebe große Schwester,
    Du hast gesagt, sie wäre eine Lady.
    Vielleicht kann sie bei Dir wirklich zu einer werden.
    Deine kleine Schwester.

2
    »Kein komplizierter Mordfall«, sagte Milo. »Eher ein Fall von Ist-es-überhaupt-passiert?«
    »Du hältst es für Zeitverschwendung?«, fragte ich.
    »Du nicht?«
    Ich zuckte mit den Achseln. Wir tranken beide einen Schluck.
    »Schließlich war sie unheilbar krank, und das hat vermutlich ihr Gehirn in Mitleidenschaft gezogen«, sagte er. »Nur meine laienhafte Meinung natürlich.«
    Er zog sein Glas näher zu sich heran, wirbelte kleine zähflüssige Wellen mit seinem Cocktailspieß auf. Wir saßen in einem Steakhaus zwei Meilen westlich der Innenstadt, und jeder von uns hatte ein riesiges T-Bone-Steak, einen Salat, der größer war als mancher Vorgarten, und einen eisgekühlten Martini vor sich.
    Um halb zwei an einem kühlen Mittwochmittag feierten wir das Ende eines monatelangen Lustmordprozesses. Die Angeklagte, eine Frau, deren künstlerische Ambitionen sie dazu verleitet hatten, mehrere Morde zu begehen, hatte alle dadurch überrascht, dass sie sich schuldig bekannte.
    Als Milo aus dem Gerichtssaal trottete, fragte ich ihn, warum sie aufgegeben hätte.
    »Sie hat keinen Grund angeführt. Vielleicht hofft sie auf eine Bewährungsstrafe.«
    »Liegt das im Bereich des Möglichen?«
    »Sollte man nicht meinen, aber wenn der Zeitgeist schwammig wird, ist alles möglich.«
    »So früh schon große Worte?«, fragte ich.
    »Ethos, soziales Umfeld, such dir eins aus. Was ich damit sagen will: In den letzten paar Jahren haben alle große Reden geschwungen von wegen dem Verbrechen muss Einhalt geboten werden. Dann machen wir unseren Job zu gut, und John Q. wird selbstzufrieden. Die Times bringt gerade eine ihrer herzzerreißenden Artikelserien darüber, dass eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für Mord tatsächlich lebenslänglich bedeutet, und ob das nicht tragisch sei. Wenn das so weitergeht, haben wir bald wieder die schöne Zeit, als jeder Bewährung bekam.«
    »Das setzt voraus, dass die Leute Zeitung lesen.«
    Er schnaufte.
    Ich war als Zeuge der Anklage vorgeladen worden, hatte vier Wochen auf Abruf bereitgestanden und drei Tage auf einer Holzbank in einem langen grauen Korridor des Criminal Court Building an der Temple gesessen.
    Um halb zehn hatte ich an einem Kreuzworträtsel gearbeitet, als Tanya Bigelow mich anrief, um mir mitzuteilen, dass ihre Mutter vor einem Monat an Krebs gestorben sei und sie gern eine Therapiesitzung bei mir hätte.
    Ich hatte sie und ihre Mutter seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen. »Das tut mir so leid, Tanya.
    Sie können heute zu mir kommen.«
    »Vielen Dank, Dr. Delaware.« Ihre Stimme klang belegt.
    »Gibt es irgendetwas, was Sie mir jetzt erzählen möchten?«
    »Eigentlich nicht - es geht nicht um ihren Tod. Es ist etwas… ich bin mir sicher, dass Sie es für merkwürdig halten.«
    Ich wartete. Sie erzählte mir ein bisschen. »Sie glauben wahrscheinlich, ich mache aus einer Mücke einen Elefanten.«
    »Ganz und gar nicht«, sagte ich. Eine Lüge im Dienst der Therapie.
    »Ich übertreibe wirklich nicht, Dr. Delaware. Mommy hätte nie - tut mir leid, ich muss in die Vorlesung. Kann ich heute Nachmittag zu Ihnen kommen?«
    »Wie wär's um halb sechs?«
    »Vielen, vielen Dank, Dr. Delaware. Mom hat immer große Stücke auf Sie gehalten.«
    Milo sägte am Knochen entlang und hielt ein Stück Fleisch zur Inspektion hoch. Die Beleuchtung machte einen Schotterplatz aus seinem Gesicht. »Sieht das in deinen Augen nach Spitzenqualität aus?«
    »Schmeckt prima«, sagte ich. »Ich hätte dir wahrscheinlich nichts von dem Anruf erzählen sollen - Arztgeheimnis. Aber wenn sich herausstellt, dass irgendwas Ernstes dahintersteckt, stehe ich sowieso wieder bei dir auf der Matte.«
    Das Steak verschwand zwischen seinen Lippen. Seine Kiefer machten sich an die Arbeit, und die Aknenarben auf seinen Wangen verwandelten sich in tanzende Kommas. Mit seiner freien Hand schob er eine schwarze Haarlocke aus seiner fleckigen Stirn. Er schluckte und sagte: »Traurig, das mit Patty.«
    »Du hast sie gekannt?«
    »Ich hab sie häufiger
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