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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Autoren: Bill Clegg
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habe, denke ich: VERPISS DICH , sage aber ruhig:
Nein, danke
, und verstecke meine Schlotterhände hinterm Rücken. Er geht, und ich meine über mir etwas zu hören. Ist über mir noch ein Zimmer oder das Dach? Ich kann mich nicht erinnern. Ich laufe durchs Zimmer, stecke mir eine Pfeife an und überlege, ob ich die Vorhänge aufziehen und nachsehen soll. Eine Dreiviertelstunde und fast eine halbe Flasche Wodka dauert es, bis ich die Vorhänge zurückziehe, mich hinauslehne und sehe, dass über mir ein offenes Dach und nicht noch ein Zimmer ist. Der oberste Stock ist zurückgesetzt, und meine Etage ist die Letzte vor der Verjüngung. Ich schaue hinunter auf den Parkplatz, sehe die schwarzen SUV s und Limousinen und meine zu sehen, dass in einem der Wagen ein Feuerzeug angeknipst wird. Und im nächsten. Wollen sie mich um den Verstand bringen? Warum beobachten sie mich? Warum nehmen sie mich nicht einfach fest? VERDAMMT, WER SIND DIE LEUTE ? Plötzlich komme ich mir zum Umpusten leicht vor. Wehrlos. Ich will mich aufrichten, bleibe aber vor Angst gekrümmt wie ein halb geschlossenes Klappmesser. Ich ziehe die Vorhänge zu und gehe geduckt auf Zehenspitzen zum Bett zurück. Die Geräusche über mir – Schritte? Schleift da was? Wollen sie sich vom Dach runterlassen und zum Fenster reinkommen? Mir wird bewusst, wie klein das Zimmer ist, und ich frage mich, ob sie es eigens für mich so hergerichtet haben. Gehört es zu einer größeren Suite und haben sie, als ich im Anmarsch war, diesen vom Dach aus zugänglichen Raum verwanzt, mit Kameras versehen und abgeteilt, um mich zu kriegen? Von irgendwo höre ich ein Radio. Ich renne vom Bett zum Kleiderschrank. Das Handtuch löst sich wieder, und ich erblicke im Spiegel ein klappriges Gerippe – die Ellbogen, Knie und Fingerknöchel stehen vor wie an Fäden befestigte hölzerne Scharniere. Ich bin die Marionette, die ich schon tausend Mal gesehen habe, ohne zu ahnen, dass ich es war. Ich bestehe nur noch aus Stecken, Schnüren und Zuckungen. Geld weg. Liebe weg. Karriere weg. Ruf weg. Freunde weg. Hoffnung weg. Sympathien weg. Nutzen weg. Zweite Chancen weg. Und wenn es irgendwelche Vorbehalte gegen das Sterben gab, dann sind die jetzt auch weg. Ich rauche einen fetten Hit. In dem Glasbecher muss noch für fast zweitausend Dollar Crack sein. Ich habe knapp zwei Flaschen Wodka, sechs Schachteln Schlaftabletten, zwei neue und drei angeschmauchte, aber noch brauchbare Pfeifen übrig. Das muss alles so schnell wie möglich in mich rein, damit es mich weghaut, bevor das Zimmer gestürmt wird. Ich habe in den letzten Wochen nur fünf, sechs Stunden geschlafen. Soweit ich weiß, nichts gegessen. Ich bin mir sicher, dass mein kaputter Körper es nicht übersteht, wenn ich ihm alles reindrücke, was ich hier habe. Die fernglas- und feuerzeugbewehrten, winkenden SUV -Fahrer draußen, die jetzt anscheinend auf dem Dach sind, können jeden Augenblick durch Tür und Fenster platzen.
     
    Schnell ziehe ich meine Boxershorts an. Plötzlich ist es enorm wichtig, dass ich Unterwäsche anhabe und dass alles sauber ist. Wenn sie das Zimmer stürmen, will ich nicht, dass es verdreckt und vollgekrümelt ist, und ich will nicht nackt sein. Ich wische die Ablagen im Bad und im Zimmer ab und stelle mir die Gläser mit den Tabletten und dem Crack ans Bett. Die beiden Flaschen Wodka stelle ich auf den Boden und hole mir noch eine leere zum Pinkeln. Irgendwann beim Aufräumen fasse ich den Entschluss, nicht mehr aufzustehen, wenn ich erst mal im Bett liege. Ich hocke mich auf die Bettkante und lade die Pfeife. Ich rauche eine Pfeife nach der anderen, aber der Crackvorrat in dem Glas nimmt nicht ab. Ich fange an, die Tabletten zu nehmen. Eine nach der anderen, mit großen Schlucken Wodka. Ich höre Schritte auf dem Dach. Das Geräusch von Seilen, schweren Stiefeln, Drahtseilen. Kisten mit Gewehren werden über den Beton geschoben. Überwachungsgeräte herangehievt. Wieder Schritte. Wieder Crack. Wieder Tabletten und noch größere Schlucke Wodka. So geht das immer weiter in dem halbdunklen Zimmer, in das die Vormittagssonne durch die geschlossenen Vorhänge dringt. Die blanken Möbel mit ihrem scheinbar so eleganten, einladenden Großstadtflair sehen jetzt billig, kalt und gewöhnlich aus. Ich höre einen Hubschrauber und male mir aus, wie die Leute über mir das Dach mit Drahtseilen an dem Heli festmachen und die Maschine jeden Moment mit dem Zimmerchen losfliegt, fort von New York, und es hinter
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