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Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Porträt eines Süchtigen als junger Mann

Titel: Porträt eines Süchtigen als junger Mann
Autoren: Bill Clegg
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den Mauern eines Bundesgefängnisses absetzt. Das Bett scheint zu wackeln, und ich weiß nicht, ob nur ich da wackle, nur das Bett oder das ganze Zimmer. Ich schlucke weiter Tabletten. Rauche weiter. Trinke weiter. Nehme mir ein Stück Papier, denke an die vielen Nachrichten, die Noah auf die Rückseite von Briefumschlägen geschrieben und mir auf den Tresen in unserem Vorraum gelegt hat, schreibe
Ich kann nicht mehr
und lege den Zettel neben das Bett. Ich kann kaum noch die Arme bewegen, und meine Beine fangen an zu schmerzen. Mein Herz kommt mir vor wie eine Rakete in der Brust, die im Begriff ist abzuheben, und gleichzeitig breitet sich eine schwere, dumpfe Welle träger Energie vom Nacken her in meinem Kopf aus.
     
    Die Tabletten sind beinah alle. Zum ersten Mal frage ich mich, ob ich wirklich Ernst machen will. Vielleicht besteht doch immer noch die Möglichkeit, aus diesem tiefen Loch herauszukommen? Will ich wirklich sterben? Ich halte ein, und auch die Geräusche auf dem Dach hören auf. Alles ist still bis auf das Rauschen meines Blutes hinter Augen, Ohren und Brust. Ich höre nur, wie das Leben durch meinen müden, schmerzenden Körper schwappt. Will ich das wirklich beenden? Jetzt? Ein schnalzendes Geräusch kommt vom Dach, und ich erstarre.
     
    Ja
, denke ich, als ich mich vorbeuge, zum Glas mit den Tabletten greife und mir die letzten zehn oder zwölf in den Mund schütte. Ja, sage ich laut zu den Männern auf dem Dach und den SUV -Leuten, die vermutlich alles mithören. JA , rufe ich, bevor ich den Wodka komplett austrinke.
Ja
, murmele ich wütend und packe die letzte saubere Pfeife voll, bis sie aus der Form geht. Ja, ja und noch mal ja, während ich das alles in mich reinziehe und langsam werde und die große, träge, langerwartete Welle anrollt, sich über mir wölbt und auf mich niederkracht. Ja.
     
    Lange war meine nächste Erinnerung, dass ich in der Lobby von One Fifth stehe, mich am Empfangsschalter festhalte und Luis sage, dass ich den neuen Schlüssel brauche. Mit der Zeit kommt aber die Erinnerung hinzu, wie ich an der Nordostecke Fifth Avenue und Washington Square Park stehe. Hat mich ein Taxi dort abgesetzt? Bin ich vom Hotel aus zu Fuß gegangen? Ich wusste es damals nicht und weiß es auch jetzt noch nicht. Doch ich erinnere mich, wie ich an der Ecke stehe und nicht weiß, was ich tun soll. Ob ich nach Hause gehen soll oder nicht. Ich habe kein Geld. Nichts. Und ich kann mich kaum wachhalten. Ich könnte mich so auf den Gehsteig legen und einschlafen. Wenn ich nur eine ruhige Ecke fände, wo ich nicht behelligt oder festgenommen würde. Der Schlaf liegt auf mir wie eine Bleidecke, und ich kann nicht stehenbleiben ohne zu taumeln. Ich gehe die Fifth Richtung Norden, heimwärts.
     
    Und nun sagt mir Luis – Hispano-Amerikaner um die Dreißig, überaus höflich, derselbe Pförtner, dem ich seit Jahren im Kommen und im Gehen zuwinke –, dass Noah nicht da ist und ich hier keinen Zutritt habe. Er sagt es freundlich, aber er sagt es. Ich bitte ihn, mir um Himmels willen den neuen Schlüssel zu geben. Es ginge schon in Ordnung, Noah hätte nichts dagegen. Er sagt mir, er hat Anweisung, mir den Schlüssel nicht zu geben, und ich antworte ihm, ich muss mich hinlegen, sonst sterbe ich. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Er ruft John, den Hausverwalter. John kommt herunter und bittet mich, ihm zu folgen. Wir fahren in den ersten Stock, wo er ein kleines Büro hat, und er schlägt mir vor, bei ihm zu warten, bis Noah nach Hause kommt. Ich sage ihm, er soll Noah anrufen. Mein Handy tut’s nicht mehr. Er wählt die Nummer und gibt mir den Hörer. Noahs Mailbox meldet sich, und ich sage, dass ich zu Hause bin und man mich nicht reinlässt. Dabei falle ich um. Meine Beine knicken weg, und ich liege vor Johns Schreibtisch auf dem Boden. Er hilft mir hoch, aber es ist kein Stuhl da. Ich lehne mich gegen den Türrahmen. Ich schlafe und wache, bin lebendig und tot und weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. John redet, aber ich verstehe nicht mehr, was er sagt. Das Telefon klingelt, und er hält mir den Hörer ans Ohr. Es ist Noah.
Hallo
, sage ich.
Ich bin zu Hause. Hilf mir bitte.
Ich gebe John den Hörer, und sie reden weiter, dann begleitet John mich hinunter zu Luis. Geben Sie ihm den Schlüssel, sagt John, und Luis öffnet den Schrank hinterm Schalter. Nach einiger Verwirrung wegen alter und neuer Schlüssel halte ich endlich den Schlüssel in der Hand und gehe wieder zum
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