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Port Vila Blues

Port Vila Blues

Titel: Port Vila Blues
Autoren: Gary Disher
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anderen tun es.«
    Wyatt blieb stehen und starrte sie an. Seine Stimme war kalt, sachlich und distanziert, nicht die Spur einer Gemütsregung schwang mit, als er erwiderte: »Nettie, er kannte die Risiken.«
    Jardine entstammte einer Familie halbseidener Gebrauchtwarenhändler, die auch schon mal etwas verkauften, ›was vom Lastwagen gefallen war‹. Sie waren stets vorsichtig und hielten sich Ärger vom Leib. Die Schussverletzung am Kopf, die sich Jardine vor sechs Monaten bei einem Job mit Wyatt zugezogen hatte, war ein unvorhersehbares Ereignis, etwas, was jedem hätte passieren können, doch in Jardines Familie war dergleichen zum ersten Male vorgekommen und außer Jardine gaben alle Wyatt die Schuld.
    »Er kannte die Risiken«, sagte Wyatt noch einmal.
    Niemals hätte Wyatt zugegeben, dass eine gewisse Verantwortung auf ihm lastete — nicht in Bezug auf das Risiko, dem er Jardine ausgesetzt hatte, sondern dafür, was seitdem geschehen war. Das erste Zusammentreffen mit Jardine nach dem Job hatte Wyatt einen regelrechten Schock versetzt, die Veränderung im Wesen des Mannes, mit dem er ein gutes Dutzend Dinger erfolgreich durchgezogen hatte und den er mochte und dem er vertraute — soweit Wyatt überhaupt jemanden mochte und ihm vertraute. Sechs Monate zuvor war Jardine aus dem Ruhestand zurückgekehrt, gesund und munter, stets gut gelaunt, um Wyatt bei dem Überfall auf das Mesic-Lager zu unterstützen. Aber nach dem Mesic-Job waren sie in einen Hinterhalt geraten und Jardine hatte sich einen Kopfschuss eingefangen, einen Streifschuss über dem einen Ohr. Wyatt hatte Jardine seinen Anteil ausbezahlt, ihn zu einem Arzt gebracht, der keine Fragen gestellt hatte, und war anschließend in Tasmanien untergetaucht, einem Ort, wo die Leute, die ihn nicht finden sollten, ihn auch niemals fänden.
    Er war davon ausgegangen, dass Jardine sich wieder gemütlich zur Ruhe gesetzt hatte, doch der Jardine, den er ein paar Wochen später in Sydney getroffen hatte, war zum Teil einseitig gelähmt, einige Kilos leichter und um einige IQ-Punkte langsamer und begriffsstutziger. Jardine neigte dazu, Dinge zu vergessen. Mit der Miete war er zwei Monate im Rückstand. Seine beiden Räume im Dorset-Hotel in Newtown waren zugemüllt mit Pizza-Kartons und Kaffeebechern aus Styropor und es war offensichtlich, dass er seit Tagen dieselbe Kleidung trug.
    Wyatt hatte seinen alten Partner in eine 24-Stunden-Klinik verfrachtet und dort eine Geschichte aufgetischt, um die Wunde zu rechtfertigen, die immer noch als brutaler Schnitt in Jardines Kopfhaut klaffte. »Schlaganfall«, lautete die Diagnose des Arztes. Vermutlich hervorgerufen durch die Verletzung. Jardine brauchte professionelle Pflege. Ob es jemanden gebe, der sich die nächsten Monate um ihn kümmern könne. Einen Freund? Familie? Oder eine Krankenschwester, die ihn rund um die Uhr betreue, sofern das finanzierbar sei.
    Wyatt setzte sich mit der Familie in Melbourne in Verbindung. Zwei Tage lang ließ er sich von ihnen beschimpfen. Schließlich willigte Nettie ein, Jardine zu sich zu nehmen. Wyatt hatte gewusst, dass irgendjemand das tun werde. Er wollte nur, dass sie sich auch entsprechend äußerten. »Die Rechnungen zahle ich«, sagte er ihnen.
    Nettie war nie verheiratet gewesen. Sie hatte bei Kodak gearbeitet, den Job aber vor einem Jahr verloren und machte sich keine großen Hoffnungen, einen neuen zu finden. Sie war auf das Haus in Coburg gestoßen — ein Dreckloch mit genug Platz für zwei Erwachsene und einer Miete, die Wyatt nicht an den Bettelstab brachte — und dort mit Jardine eingezogen. Was sie auch brauchten — in medizinischer und in häuslicher Hinsicht —, Wyatt bezahlte alles.
    Er wusste, es war nur übergangsweise, und er sehnte den Zeitpunkt herbei, wo der große Coup gelang, um Jardine und Nettie für den Rest ihres Lebens versorgen zu können. Um diese Bürde endlich abwerfen und hinter sich lassen zu können.
    »Ich verspreche, ich werde ihn nicht aufregen«, sagte er jetzt zu Nettie.
    Nettie hatte ihren Standpunkt dargelegt. Sie ließ Wyatt im Flur stehen und öffnete die Tür zu einem der vorderen Zimmer. Mit einer Kopfbewegung sagte sie: »Er ist hinten.«
    Wyatt nahm sie sanft beim Arm und gab ihr ein Päckchen. »Damit ihr über die Runden kommt«, sagte er. »Fünfundzwanzigtausend.«
    Nettie sah das Geld nicht an, zählte es nicht nach. Es verschwand mit ihr im Zimmer, und Wyatts letzter Kontakt mit ihr an diesem Morgen war das Gefühl ihres
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