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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula
Autoren: Mikael Niemi
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Afrika ähnliche Kirchenlieder. Er sang mit tiefer, irgendwie rauer Stimme in einer Eingeborenensprache, und die ganze Kirche sang immer leiser, um ihn besser hören zu können. Als es endlich Zeit für die Predigt war, gab Tawe ein Zeichen. Und das Unerhörte geschah: Der Schwarze und die Diakonisse betraten gemeinsam die Kanzel.
    Unruhe breitete sich aus, wir waren ja in den Sechzigerjahren, und da hieß es immer noch, dass die Frau in der Versammlung zu schweigen habe. Tawe erklärte aber sogleich zur allgemeinen Beruhigung, dass die Dame nur übersetzen sollte. Es wurde ein bisschen eng dort oben, als sie sich vorsichtig neben den stattlichen Fremden schob. Sie schwitzte reichlich unter ihrer Diakonissenhaube, ergriff das Mikrophon und warf nervöse Blicke auf die Versammlung. Der Schwarze blickte ruhig über die Reihen, seine Körperlänge wurde durch den hohen Hut, der golden und blau auf seinem Kopf ruhte, noch verstärkt. Sein Gesicht war so dunkel, dass man nur das Weiße in den Augen blitzen sah.
    Dann begann er zu sprechen. Auf Bantusprache. Ohne Mikrophon. Er rief irgendwie, laut und lockend, als würde er jemanden im Dschungel suchen.
    »Ich danke dem Herrn, danke dem Herrn, meinem Gott«, übersetzte die Diakonisse.
    Dann ließ sie das Mikrophon fallen, beugte sich jammernd vor und wäre von der Kanzel gefallen, wenn nicht der Schwarze sie aufgefangen hätte.
    Der Kirchendiener reagierte als Erster. Er kletterte hoch, schlang die knochigen Arme der Diakonisse um seinen Stiernacken und trug sie hinunter auf den Mittelgang.
    »Malaria«, stöhnte sie. Ihre Haut war dunkelgelb, sie stand aufgrund einer Fieberattacke kurz vor der Ohnmacht. Einige Mitglieder des Kirchenrats schlossen sich an und halfen mit, sie aus der Kirche zu einem Auto zu tragen, das sofort zum Krankenhaus fuhr.
    Zurück blieben die Gemeinde und der Schwarze. Alle fühlten sich wie benommen. Tawe trat vor, um zu übernehmen, aber der Schwarze stand immer noch auf der Kanzel. Wenn er um die halbe Welt gereist war, würde er das hier ja wohl auch noch schaffen. In Gottes Namen.
    Er dachte kurz nach und wechselte dann von der Bantusprache ins Kisuaheli. Gewiss eine Vielmillionensprache, verbreitet in großen Teilen des afrikanischen Kontinents, aber leider vollkommen unbekannt in Pajala. Ausdruckslose Gesichter sahen ihn an. Er wechselte wieder die Sprache, diesmal ins Kreolfran-zösische. Der Dialekt war so stark, dass nicht einmal die Französischlehrerin seine Aussprache verstand. Immer aufgeregter ging er bei einigen Sätzen ins Arabische über. Versuchte es dann verzweifelt mit dem Flämischen, das er während seiner ökumenischen Reisen in Belgien aufgeschnappt hatte.
    Der Kontakt blieb bei Null. Niemand verstand eine Silbe. In diesen abgelegenen Gegenden regierten allein das Schwedische und das Finnische.
    Aus reiner Verzweiflung wechselte er ein letztes Mal die Sprache. Setzte so lautstark an, dass das Echo bis zur Orgel hinaufdrang, weckte eine Frau auf, die eingeschlafen war, brachte einen Säugling zum Weinen und die Blätter in der Predigerbibel zum Rascheln.
    Da erhob sich Niila aus der Bank vor mir und rief zurück.
    Es wurde totenstill in der Kirche. Die gesamte Versammlung drehte sich um und starrte diesen unverschämten Bengel an. Der Schwarze wandte das funkelnde Weiß seiner Augen dem Jungen dort unten zu, gerade in dem Moment, als dieser schroff von Isak niedergeboxt wurde. Der Afrikaner hob seine Hände als Zeichen, innezuhalten, und die Haut da drinnen war sonderbar weiß. Isak spürte den Blick und ließ seinen Sohn los.
    »Cu vi komprenas kion mi diras?«, rief der Schwarze.
    »Mi komprenas cion«, antwortete Niila.
    »Venu ci tien, mia knabo. Venu ci tien al mi.«
    Zögernd zwängte sich Niila aus der Bankreihe und stellte sich in den Gang. Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte er fliehen. Der Afrikaner winkte ihn mit hellen Handinnenflächen zu sich. Niila machte unter den Blicken aller Anwesenden ein paar zittrige Schritte. Sich duckend tastete er sich zur Kanzel vor, ein schüchterner kleiner Junge mit verschnittenem Haar. Der Schwarze half dem Buben die Stufen hinauf. Niila konnte kaum über die Brüstung sehen, aber der Afrikaner hob ihn mit seinen starken Armen hoch. Hielt den Jungen wie ein Lamm. Mit zitternder Stimme nahm er seine unterbrochene Predigt wieder auf:
    »Dio nia, kiu auskultas niajnpregojn ...«
    »Vater unser, der du unsere Gebete erhörst«, übersetzte Niila ohne jedes Zögern. »Heute
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