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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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diesen Job völlig ungeeignet war, stand Kramer schon auf dem Flur.
     
    Auf der Straße erlebte er eine böse Überraschung. Seine Gesprächspartner bei der Stasi hatten ihm einen grauen Gefangenenbarkas und einen Fahrer vom Wachregiment des MfS geschickt. Das fand er überhaupt nicht lustig. Das Wachregiment des MfS hieß in der neuen DDR zwar nicht mehr »Wachregiment Felix E. Dzierzynski«, und es war auch im Bestand um die Hälfte gekürzt worden. Aber es war eigentlich immer noch derselbe Laden: die Privatarmee, der militärische Arm des immer noch mächtigen Geheimdienstes. Vor der Wende hatte es aus 4500 Elitesoldaten bestanden, jetzt waren davon nur noch 2200 übrig. Einer davon stand auf der anderen Straßenseite und wartete auf ihn. Kramer lief über die Straße und dachte über den dummen Scherz von Pasulke nach. Hopsnehmen, dachte er. Wollen die mich hopsnehmen? Der sympathisch aussehende Wachsoldat lächelte ihn an und sagte: »Machen Sie sich nichts draus. In der Eile war nichts anderes frei. Bitte.« Er zeigte auf die Beifahrertür, und Kramer stieg ein. Der Mann klang eigentlich nicht nach Berlin und erst recht nicht nach Dresden. Eher nach Düsseldorf. Es war bekannt, dass die meisten ehemaligen SEK/MEK-Mitglieder aus der alten BRD im Wachregiment untergekommen waren. Sein Begleiter mochte mit Anfang zwanzig Terrorbekämpfung in Nordrhein-Westfalen geübt haben.
    Natürlich fühlte sich Kramer auf dem Sitz in der engen Fahrerkabine des Barkas unwohl. Er wusste genau, wie es hintendrin aussah: sechs unglaublich enge Zellen für »Zugeführte« und eine Metallbank für einen oder zwei Bewacher. Als junger Polizist war Kramer selbst manchmal einer dieser Bewacher gewesen. Er erinnerte sich ungern daran. Die Polizei fuhr mittlerweile nur noch die Gefangenentransporter der VEB Volkswagen Wolfsburg, aber beim MfS konnte man sich offenbar nicht zu Veränderungen durchringen.
    Der Fahrer ließ den Wagen an. »Ich muss Sie bitten, sich anzuschnallen«, sagte er.
    »Was?«, antwortete Kramer. »Ach so.« Und er schnallte sich an.
    In der Eile war nichts anderes frei. Ihr Schweine, dachte Kramer. Dieses Gefährt war nichts anderes als eine Drohung. Aber so waren sie eben, die Genossen vom MfS. Wieso menschenfreundlich, wenn's auch anders ging? Ab durch die Mitte.
     

Wieder vereint
    Es hatte schlecht ausgesehen für die DDR, Mitte der achtziger Jahre. Die Devisenreserven waren bedenklich dünn geworden, der Staatshaushalt war in einem bankrottreifen Zustand, der technologische Modernisierungsrückstand gegenüber dem Westen war eindeutig nicht mehr aufzuholen, und das Volk murrte. Während die meisten DDR-Bürger im Westfernsehen zu sehen glaubten, was sie an Lebensqualität verpassten, verließ sich eine versteinerte Führung wie eh und je auf die Macht der Propaganda. Während das notwendigste Baumaterial fehlte, um Altbauten bewohnbar zu halten, und während man für Neugeborene die Autos bestellen musste, die sie als Erwachsene fahren sollten, log Honecker am 1. Mai immer noch das Blaue vom Himmel herunter.
    Manchmal gingen Kramer und Pasulke einen trinken, und wenn sie dann dreie oder viere getrunken hatten, dachten sie beide, jeder für sich, laut vor sich hin – manchmal auch über die Stimmungslage vor der Wende. Kramer sagte dann Sachen wie: Mit den politischen Verhältnissen hätten sich die meisten Ostdeutschen ja abgefunden, Bespitzelung hin, Beton-Sozialismus her, sie waren ja immerhin Deutsche. Aber dass ihnen das Westfernsehen all die Sachen zeigte, die sie nicht hatten, barg das eigentliche Konfliktpotenzial. Und das wusste natürlich auch die Führung. Die Mauer war hauptsächlich deswegen ein Problem, weil sie die freie Fahrt zum Flughafen in Frankfurt am Main behinderte, nicht wegen der grundsätzlichen Ungeheuerlichkeit, dass ein Staat seine Bürger einsperren musste, damit sie ihm nicht davonliefen.
    Und Pasulke meinte dann: Die Bürger waren unzufrieden. Man wollte auch einmal offen motzen dürfen. Man wollte nach Teneriffa fliegen, statt immer nur nach Rumänien zu fahren. Die einen hätten gern christliche statt sozialistische Erbauungsbotschaften im Radio gehört, die anderen fanden den DDR-Nationalismus à la »Vaterland der Werktätigen« ungenügend und hätten gerne einmal wieder das Deutschlandlied geschmettert, aus vollem Hals, beim Sieg einer gesamtdeutschen Fußballnationalmannschaft über den Engländer zum Beispiel. Dann hätte wieder ganz Deutschland und nicht nur die
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