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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Plastiküberzug des Stuhls, auf dem er sitzen musste. Er war wütend wie ein Stier nach dem zweiten Stich mit den Spießen. Typisch, absolut typisch für diesen Scheißladen. Erst taten sie, als sei Holland schwer in Not, und dann ließen sie dich warten wie einen Schüler beim Zahnarzt. Er hätte kotzen können.
    Die Sprechanlage auf dem Schreibtisch quakte. Der Mann drückte einen Knopf und sagte: »Jawohl, Major Schindler.« Wörtlich. Dann wies er mit der flachen Hand auf eine Zwischentür. »Bitte sehr, Oberleutnant Kramer.«
    »Danke sehr«, sagte Kramer. Hinter der Tür erlebte er sein blaues Wunder.
    Bei einem schnellen Rundblick durch den dunkel getäfelten Raum erfasste Kramer den großen Schreibtisch, auf dem zwei sehr schicke Flachbildschirme standen, einige Urkunden und Fotografien an der Wand, die teuren Möbel. Aber nicht das war es, was ihn verblüffte. Außer ihm waren noch drei weitere Personen anwesend, und jede Einzelne von ihnen hätte genügt, ihn zu verunsichern. Der Major stand auf, um ihn per Handschlag zu begrüßen, und Kramer sah: Er war eine Majorin, eine bleiche, sehr magere Frau mit sehr roten Lippen und großen Augen. Ihre Uniform war tipptopp, am Revers mehrere Orden. Sie wollte seinen Blick einfangen, aber Kramers Neugier duldete das nicht. Zwei Männer saßen schräg hinter ihr an einem kleinen Teetisch und blickten ihn an. Der eine davon war Markus »Mischa« Wolf. Der ehemalige Stellvertreter Mielkes. Seit 1986 angeblich nur noch »Schriftsteller«. Der berühmteste Geheimdienstler der DDR. Den zweiten Mann kannte Kramer nicht, aber er erschreckte ihn noch mehr als Markus Wolf, obwohl er zunächst nicht hätte sagen können, warum. Die Majorin schüttelte seine Hand. Er versuchte, Fassung zu wahren.
    »Oberleutnant Kramer«, sagte die Majorin, »wie schön, dass Sie kommen konnten. Setzen Sie sich doch zu uns.«
    Kramer erwachte langsam aus seiner Lähmung und fand wieder Zugang zu seinen Gefühlen. Die momentan eindeutigsten davon waren Wut und Angst. Er setzte sich und sah in die Runde. Wolf lächelte. Der zweite Mann nicht. Kramer sah ihm nur kurz ins Gesicht und konnte langsam seine Furcht konkretisieren. Dieses Gesicht war darauf angelegt, nicht in der Erinnerung zu haften. Kramer wusste mit absoluter Sicherheit, dass er es in dem Augenblick vergessen würde, in dem er den Raum verließ. Eine eigenartige Kälte und Leere stieg in ihm auf, als betrachte er nicht ein menschliches Wesen, sondern eine Hohlform davon, eine Puppe voller Holzwolle, die sich gleichwohl bewegte und atmete, als sei sie lebendig. Der Anblick war so unangenehm, dass er sich ab wandte. Wolf lächelte väterlich, staatsmännisch, weise.
    »Rauchen Sie?«, fragte die Majorin Kramer und bot ihm Zigarillos an. Er lehnte ab.
    Sie lachte. »Ach, ich vergaß, Ihre Marke ist F6. Oder war es, bis vor einem halben Jahr. Tapfer.«
    Sie zündete sich selbst einen Zigarillo an und atmete den Rauch des ersten Zugs mit zurückgeworfenem Kopf aus.
    »Oberleutnant der Deutschen Volkspolizei Rüdiger Kramer«, deklamierte sie, »39, verheiratet mit Anette Kramer, geb. Ernst. Kinderlos. Warum eigentlich? Handballer. Leser. Skeptiker. Löst schwierige Fälle. Eigenwillig. Intelligent. Kritisch.«
    Sie lächelte ihn an. In Kramers Speiseröhre rutschte ein faustgroßer Eisklumpen abwärts.
    »Ein guter Polizist, heißt es. Wir«, ihre Zigarillohand beschrieb einen Halbkreis an dem Namenlosen und Wolf vorbei, »fragen uns, wie gut Sie sind.«
    Rauch über den Köpfen der Sitzenden.
    »Die Sache mit diesem Michael Abusch. Die Genossen und ich halten sie für politisch. Nicht für genuin politisch, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Nein«, sagte Kramer so ruhig wie möglich.
    »Ehrlich, genau. Sie gelten auch als ehrlich. Wie sollten Sie mich auch verstehen. Michael Abusch, und das wissen Sie nicht, ist das neueste Opfer einer ganzen Serie von Opfern. Insgesamt fünf im letzten halben Jahr. Alles Jugendliche in seinem Alter – Problemkinder, Schulschwänzer, Drückeberger. Die auf ziemlich grausame Weise umgekommen sind. Wir können das bis jetzt nicht beweisen, aber wir glauben, sie sind demselben Täter zum Opfer gefallen. Oder denselben Tätern.«
    »Was ist daran politisch?« Beherrsch dich, dachte Kramer, beherrsch dich.
    »Sie waren alle fanatische Computerspieler. Wir vermuten auch, dass sie sich untereinander kannten.«
    »Ich sehe die Politik nicht.«
    »Aber wir. Das Ministerium vertritt schon länger den
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