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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Standpunkt, dass Computerspiele, und vor allem die Art Computerspiele, wie sie heutzutage gespielt werden, der sozialistischen Erziehung abträglich sind. Wir sind immer wieder für eine restriktivere Behandlung dieses Problemkreises eingetreten, vor allem, wenn es um Weiterentwicklungen ehemaliger amerikanischer und anderer westlicher Computerspiele geht, die nur oberflächlich überarbeitet und nicht gründlich ideologisch überprüft wurden. Bedauerlicherweise war die Führung anderer Meinung und hat eine unserer Ansicht nach viel zu laxe Haltung an den Tag gelegt. Das Ergebnis ist offensichtlich: Im Umkreis einer informellen Clique von jugendlichen Computerspielern – problematischen Jugendlichen, wohlgemerkt – ist es in der Hauptstadt zu fünf Morden gekommen. Wir finden das politisch.«
    Ach du heilige Scheiße, dachte Kramer. Die Stasi hatte ein neues Hobby. Killersoftware mit verschleierter Westherkunft, die das moralische Rückgrat der sozialistischen Erziehung angriff, und o zeter o mordio, ratzfatz zum Tod der Benutzer führte. Wahrscheinlich war irgendein keulenschwingender Mutant aus dem Bildschirm gesprungen und hatte Michael den Schädel eingeschlagen.                          
    »Wir haben es hier mit einer allgemeinen Problemstellung innerhalb der heutigen Jugend zu tun. Mit einer gewissen Disziplinschwäche. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. In unserem Land hat sich eine neue Jugendszene gebildet, die sich ›Skater‹ nennt. Sie haben diese so genannten Skateboards, die früher das Kennzeichen einer rebellischen Subkultur im Westen waren, und fahren damit herum. Auf Parkplätzen, Fahrradwegen, Schulhöfen usw. Es sind noch nicht allzu viele, aber sie machen uns schon Kopfzerbrechen. Es ist eine ganze Szene, komplett mit Musik, Mode, subkulturellem Jargon. Vor einer Woche haben wir eine Gruppe dieser Skater im Palast der Republik erwischt. Sie haben sich die Tatsache zunutze gemacht, dass der Bau gerade saniert wird, und sind dort eingebrochen, um in den Gängen und Fluren herumzufahren. Als wir sie nach dem Grund dafür fragten, dass sie sich gerade den Palast der Republik ausgesucht hatten, sagten sie: Weil es geil ist. Wortwörtlich. Solche Sachen meine ich. Es fängt mit Dummejungenstreichen an und endet mit Mord im Jugendclub. Das macht uns Kummer.«
    Kramer sah deutlich, was hier ablief. Das Gerede über die Skater war nur Beiwerk. Die Stasi rüstete für eine Kulturreinigungskampagne, und der tote Michael Abusch kam ihr dafür gerade recht. Illegale Spielerringe, von westdeutschen Renegaten geführt! Verderbnis der Moral! Unsere Jugend in Gefahr! Die saubere Majorin war ganz begeistert von den Zusammenhängen, die sie da skizzierte. Endlich wieder was zu tun. Er blinzelte. Sie lachte.
    »Skeptisch?«
    »Immer«, sagte Kramer. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns alles über die … politischen Hintergründe dieses Falles zukommen ließen. DORA hat auf den ersten Blick nichts darüber finden können.«
    »Wir haben das bisher diskret behandelt. Aber selbstverständlich werden Sie jetzt schnellstmöglich ins Bild gesetzt.«
    Diskret behandelt. Ihr Arschgeigen.
    »Fabelhaft«, sagte er und stand auf. Die Majorin stand ebenfalls auf. Der Namenlose und Wolf blieben sitzen.
    Die Majorin schüttelte ihm die Hand. »Wir möchten Ihnen nur helfen. Die richtige Spur zeigen.«
    »Das freut mich. Guten Tag.«
    Sagte es, drehte sich um, verließ das Büro. Ließ die Tür offen stehen. Der Mann im Vorzimmer blickte kurz auf, wandte sich aber sofort wieder seinem Bildschirm zu. Niemand versuchte Kramer aufzuhalten. Niemand rief ihm hinterher. Es dauerte eine Weile, bis er aus dem Gebäude wieder herausgefunden hatte. In seinem Kopf herrschte Nebel. Draußen auf der Ruschestraße hatte er das Gesicht des Namenlosen bereits vergessen.
     
    Kramer lief die Frankfurter Allee entlang. Seine Wut war grenzenlos. Die Sonne war herausgekommen und wärmte das Pflaster mit der typisch zweideutigen Aprilwärme, die immer noch unversehens in Schneegestöber umschlagen konnte, vor allem in Berlin. Mischa Wolf? Die richtige Spur? Diese Riesenscheißkerle. Was bildeten die sich eigentlich immer noch ein? Dass sie die Wahrheit mit Schaumlöffeln gefressen hatten? Politisch? Bis jetzt hatte er noch nichts gehört, was dieses Adjektiv rechtfertigte. Aber eine ganze Mordserie geheim halten, solange es ihnen in den politischen Kram passte, das konnten sie. Wenn sie oder das K5 Erfolg bei ihren
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