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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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eigentlich schon in der alten DDR gegeben? Nein, nein, natürlich nicht. Aber inzwischen war die alte BRD-Marke in den DDR-Alltag fest integriert. Das Produkt wurde jetzt vom VEB Fließtextilien Lößnitztal hergestellt, und man tat so, als sei das schon immer der Fall gewesen. Ein paar Internetz-Betriebe warben ein wenig aggressiver, weil die Partei einen landesweiten Wettbewerb ausgeschrieben hatte: »DDR digital 2000«. Da gab es für findige Kader wirklich etwas zu gewinnen, unter anderem hoch dotierte Beraterposten im neu geschaffenen Ministerium für Innovation. Aus »Internet« hatte die neue DDR einfach »Internetz« gemacht, das klang wie »Interflug« und »Intershop« und wurde auch von der Bevölkerung akzeptiert.
    Die Frankfurter Allee hingegen sah eigentlich noch aus wie damals. Die Häuser waren bunter (es gab Farbe en masse), mehr Grün war auch zu sehen (»Unsere Stadtbäume – die grünen Lungen Berlins!«) und die Gehwege waren renoviert. Aber der Straße war immer noch anzumerken, dass sie einmal als Prachtstraße gebaut worden war, und das machte sie Kramer so unbehaglich. Sie war ihm schon immer zu breit gewesen, die Menschen verschwanden darin.
    Er sah eine Gruppe von Skinheads mit zwei Kampfhunden. Die Hunde trugen ordnungsgemäß Maulkörbe. »Um die Kerle sollten wir uns auch mehr kümmern«, dachte Kramer. In diesem Jahr waren in Berlin schon mehrere Polen ermordet worden, in ganz Deutschland mochten es bis jetzt, in den frühen April hinein, ein gutes Dutzend gewesen sein.
    »Wessis«, sagte der Wachsoldat verächtlich. Er spielte wohl darauf an, dass viele der Rechtsradikalen aus dem Westen stammten und nach der Wende nach Berlin gekommen waren, um im Zentrum des Geschehens zu sein. Der Osten hatte sie nicht mit offenen Armen empfangen, aber sie waren geblieben und behaupteten, die Polen würden überall bevorzugt.
    Nun gut. Das war nicht Kramers brennendstes Problem. Sein brennendstes Problem war die Stasi. Zufahrt Ruschestraße. Der rotgraue Klotz des Hauptgebäudes sah noch genauso hässlich aus wie früher. Möglicherweise war das sogar Absicht Die Macht konnte auf Schönheit verzichten. Als sie durch die Toreinfahrt wischten, dachte Kramer Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik. Schwert und Schild der Partei. Großes Schwert. Großes Schild.
    Auf dem weitläufigen Innenhof standen eine Menge Fahrzeuge. Man sah einige Wachsoldaten, einige Funktionäre in Anzügen, die auf ihre Autos zueilten, Arbeiter in Blaumännern, die eine große Rolle – anscheinend Teppichboden – auf einen Lieferanteneingang zuschleppten. Es sah aus, als taten sie das ohne großen Schwung. Die Mittagspause nahte.
    Der Wachsoldat parkte den Wagen vor einem kleineren, immerhin noch siebenstöckigen Gebäude im Innern des Hofs und sagte lächelnd »Na dann.«
    Sie stiegen aus. Auf dem Dach waren seltsam geformte Antennen zu sehen. Einige davon dienten, wie Kramer wusste, der Satellitenkommunikation. Der Wachschutz an der Pforte erwartete sie bereits.
    Das Treppenhaus stank genauso wie das in der Warschauer Straße. Vielleicht noch ein bisschen mehr nach Angst und Paranoia. Auch die Gänge, bis auf wenige nichts sagende Aquarelle und sozialistische Devotionalien nackt, verströmten den diskreten Charme der Geheimdienstbürokratie. Der Wachsoldat ging sehr zügig, Kramer musste sich beeilen, um ihm hinterherzukommen. Durch eine offene Tür konnte er für Sekundenbruchteile einen Raum einsehen, der bis unter die Decke mit Elektronik voll gestopft war. »Ein Vöglein hat es ihm geflüstert, er konnt's nit überhören.« Noch eine Treppe, noch eine Glastür, noch eine Abzweigung, noch ein Flur. Kramer hatte längst die Orientierung verloren. Der Wachsoldat klopfte an eine Tür, auf der »E 15« zu lesen stand. Er bedeutete Kramer, draußen zu warten, und ging hinein. Die Tür öffnete sich ein zweites Mal, nur einen Spalt weit. »Oberleutnant Kramer, kommen Sie bitte«, rief jemand von drinnen. Kramer gehorchte. Der Wachsoldat salutierte und trat mit militärischer Präzision ab.
    »Kramer«, sagte Kramer zu dem Mann hinter dem Schreibtisch.
    »Schön«, sagte der. »Major Schindler hat sofort Zeit für Sie. Setzen Sie sich doch.« Schon starrte er wieder auf seinen Bildschirm.
    Nach einer Viertelstunde Wartens hatte Kramer alles gesehen, was es in diesem Raum zu sehen gab. Mehrfach. Er schwitzte, hier drinnen war es eindeutig zu warm. Seine Hosenbeine klebten an dem billigen roten
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