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Polterabend

Polterabend

Titel: Polterabend
Autoren: Alfred Komarek
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»Ist auch irgendwie kompliziert. Die ganze uralte Maschine ist ein riesiges Hebelwerk. Zwei Schwergewichte werden gegeneinander ausgespielt: Preßstein und Preßbalken.« Er zog das vorhin gelockerte Holz völlig heraus. »Das ist ein Brustriegel. Damit kann ich die Hebelkraft steuern. Dorne gibt’s auch noch. Die verhindern, daß sich der Preßbalken wieder hebt. Beim Vorbereiten, gestern abend, hab ich den Preßstein gedreht, damit den Balken auf der linken Seite niedergezwungen und auf der anderen Seite, über dem Preßkorb, gehoben. Dann war nur noch dafür zu sorgen, daß er oben bleibt. Heute geb ich ihm Stück für Stück die Freiheit wieder. Und die Trauben bekommen den Hengst zu spüren.«
    Friedrich Kurzbacher hatte mit sichtlichem Respekt zugehört. »Ein richtiger Professor, der Karl. Ich weiß ja auch, wie’s geht, aber erklären könnt ich’s nicht. Ist ja egal. Da kommt er, der Most!«
    Erst zögernd, dann stärker, sickerte der Traubensaft durch die Zwischenräume des Preßkorbes und bildete auf dem hölzernen Boden einen sachte bewegten Teich, der in vielen Grüntönen schimmerte. Da und dort bedeckten feine Bläschen die Oberfläche, hingezogen zu jener Öffnung, durch die der Most in einen Bottich unterhalb der Presse floß.
    Das Preßhaus, noch vor kurzer Zeit ein kalter, unbelebter Raum, war nun erfüllt von Geräuschen und Gerüchen. Fürnkranz holte tief Atem. »Darauf kommt’s an im Leben.«
    Die anderen schwiegen beifällig. Dann beugte sich Fürnkranz vor, um den Most näher zu betrachten, und stieß plötzlich einen Laut aus, der wie verhaltenes Knurren klang. »Da..., schaut’s her!« Er zeigte auf eine Stelle dicht neben dem Rand des Preßkorbes, wo sich eine fremde Farbe ins Grün mischte.
    Der Kurzbacher drängte sich neben ihn. »Hast vielleicht einen Rotweinstock dazwischen?«
    »Nein.«
    Polt schob die beiden zur Seite, tauchte seinen Finger in die Flüssigkeit, roch daran und wandte sich ab.
    Karl Fürnkranz trat dicht hinter ihn. »Das ist Blut, nicht wahr?«

 

Tiefgang
     
    »Ja. Möglich wär’s.« Polt stand noch ein paar Sekunden unbeweglich da. Dann gab er sich einen Ruck. »Den Stein drehen, schnell!«
    Als sich der schwere Balken ein wenig über dem Preßkorb gehoben hatte, warf Polt die darunter liegenden Hölzer zu Boden. Dann entfernte er die Abdeckung, wühlte mit beiden Händen im klebrigen Gemisch aus zerquetschten Trauben und Eis, tauchte mit den Armen ein, bis er etwas spürte: Stoff, Haut. »Herr Fürnkranz, herauf da, mithelfen! Mehr haben nicht Platz.«
    Die beiden räumten so schnell sie konnten die Maische aus dem Korb. Nach einer Weile gab Polt dem Fürnkranz einen leichten Stoß. »So. Das genügt, glaub ich. Den Rest werd ich besser allein erledigen.« Vorsichtig setzte er seine Arbeit fort, beugte er sich endlich tief nach unten, richtete sich auf und stieg langsam von der Weinpresse. Er spürte Übelkeit in sich hochsteigen, würgte und schloß die Augen. Dann schaute er die Weinbauern an. »Ein Toter. Mit gebrochenem Genick, soviel ich gesehen habe. Und wie sein Gesicht ausschaut, will ich lieber nicht beschreiben.«
    Sepp Räuschl bekreuzigte sich, Karl Fürnkranz wischte mit ruhigen Bewegungen Traubenreste von seiner Arbeitsjacke, und Friedrich Kurzbacher schaute Polt mit unbewegter Miene ins Gesicht. »Kennst ihn, Simon?«
    »Keine Ahnung. So wie der ausschaut... Hat irgendwer ein Telefon eingesteckt? Nein? Also dann fahren Sie, Herr Fürnkranz, zur Dienststelle nach Burgheim. Vorsichtig, wenn ich bitten darf. Dort erzählen Sie, was geschehen ist, lassen sich ausfragen und kommen zurück.« Der Weinbauer verließ wortlos das Preßhaus.
    Auch der Kellerei-Inspektor wandte sich zum Gehen, sein Gesicht hatte eine grünliche Farbe angenommen. »Ich bin ja jetzt wohl der letzte, der hier gebraucht wird. Auf Wiedersehen, die Herren!«
    Kurzbacher hatte seine dick gefütterte Jacke ausgezogen und hielt sie Polt hin. »Da hast. Zieh das nasse Zeug aus, Simon. Und dann gehen wir in den Keller, da ist es wärmer. Der Karl wird schon nichts dagegen haben.«
    Der Keller von Karl Fürnkranz war ein kompaktes, aber auch verwirrendes System von geräumigen Kammern und Gängen, die insgesamt etwa ein Rechteck ausfüllten. Auf jedem verfügbaren Platz standen Fässer, nirgendwo war Metall oder Plastik zu sehen. Polt war mit den anderen wortlos nach unten gegangen. In seinem Kopf gab es ein Nebeneinander, das ihm vertraut war: lähmendes Entsetzen und
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