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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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keine
     Zeit für soziale Experimente gehabt. Frage ich Mutter, dann sagt sie, sie hätte Angst gehabt, eine nur schwer zu beschreibende
     Scham, die ihr eigen ist. Früher in Polen, obgleich sie nur gebrochen Deutsch sprach, sei sie die »Hitlerowka« ihres Heimatortes
     gewesen, jetzt sei sie die Polin in Deutschland. Für immer. So sei das. Und das sei eigentlich sehr einfach.
    Kürzlich kauften sich meine Eltern eine Wohnung an der masurischen Seenplatte, unweit der Dörfer, in denen sie aufwuchsen.
     Sie werden nach Polen zurückkehren. |31| In ein paar Jahren, als Rentner. Vermutlich werden sie dann gegenüber ihren neuen Nachbarn verbergen, daß sie jemals in Deutschland
     gelebt haben. Und womöglich wird es kaum jemand merken. Die Verstellungskunst beherrschen sie meisterhaft.

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    |33| 3
DIE MAUER
    ES WAR KURZ VOR DER WENDE, als ich es endlich geschafft hatte, meinen polnischen Akzent auszumerzen. Nur mein sperriger Nachname
     erinnerte meine pubertierenden Mitschüler daran, daß ich aus dem Land mit notorisch leeren Wursttheken und endlosen Schlangen
     vor winzigen Lebensmittelgeschäften stammte. Nichts, womit man als 14jähriger in einer rheinischen Provinzstadt für sich werben
     konnte.
    Dann fiel die Mauer, und mein bärtiger Sozialkundelehrer machte mir das Leben schwer. Immer wieder zwinkerte er mir solidarisch
     zu, während er mit einem alten Time-Magazin wedelte. Es wurde von Lech Wałęsas zornigem Antlitz geschmückt: Man of the Year
     1981. »Wir haben den Fall der Mauer den Polen zu verdanken«, trichterte er der Klasse ein, um jeglichen deutsch-patriotischen
     Überschwang im Keim zu ersticken. Der Mauerfall hatte mich wieder zum Polen gemacht.
    Als mein Sozialkundelehrer beharrlich die Solidarność, Gorbatschow und die mutigen Ungarn lobte, |34| zeigten Fernsehbilder glückstränenüberströmte Berliner, die sich mit Sekt bespritzten. So etwas bewegt natürlich. Doch gleichzeitig
     waren die Bilder irritierend. Seit acht Jahren war ich damit beschäftigt, meinen eigenen kleinen Mauerfall, meine Aussiedlung
     in den Westen hinzubekommen. Und ob ich nun aus meiner westdeutschen oder polnischen Perspektive auf die ostdeutsche Wende
     blickte – es war gleichermaßen befremdlich. Die DDR war auch aus polnischer Sicht ein vollkommen fremdes Terrain. Als die
     Danziger Werftarbeiter 1980 auf die Barrikaden gingen, da baute die DDR ihren zweiten antifaschistischen Schutzwall auf; die
     polnisch-ostdeutsche Grenze wurde hermetisch verriegelt. Sie schuf damit eine ungewollte westdeutschpolnische Allianz. Noch
     kurz vor der Wende hingen im Westen Plakate des gläubigen Gewerkschaftsführers mit stramm-konservativer Gesinnung in links-alternativen
     Wohnzimmern. In großen Mengen wurden für die mutigen und hungrigen Polen Care-Pakete verschickt.
     
    Nun waren wir es, sobald wir in Deutschland ankamen, die unsere Verwandten und Freunde mit Lebensmitteln versorgten. Mindestens
     zweimal im Jahr war auch polnischer Urlaub angesagt. Das war aufregend. Wegen des unbekannten Landes dazwischen, das nicht
     Deutschland, sondern DDR hieß. Zwei Transit-Autobahnen trennten uns in zumeist nächtlichen Fahrten von Polen. Eine zwischen
     Helmstedt und Berlin, die andere zwischen |35| Berlin und Swiecko. Ein dunkles Niemandsland. Schon der Beleuchtung wegen. Regelmäßig suchte meine Mutter auf dem Beifahrersitz
     nach hartgekochten Eiern und Stullen. Das war aus zwei Gründen schwierig. Einmal wegen der mächtigen, aneinandergereihten
     Betonplatten, die, durch abgründige Zwischenräume getrennt, eine ostdeutsche Fernstraße ergaben. »Die ist noch von Hitler«,
     sagte Vater dann immer, während sein Kopf heftig im Takt des Führers wackelte. Mutter suchte weiter. Doch war sie derart eingepreßt
     von Kaffeepäckchen, Waschpulvertrommeln und diversen Konservenbüchsen, daß sie die Speisen nie fand, die uns selbst versorgen
     sollten. »Kurwa«, rief sie dann in unserem Schwertransporter, zu dem sie unseren VW Passat kurz vor der Reise selbst verwandelt
     hatte.
    Das Land dazwischen war mein Schwellenland. Zwischen Polen und Westdeutschland klaffte ein schwarzes Loch, das meine Kindheit
     vom Erwachsenendasein trennte. Die Schneise war vorgegeben, das Abzweigen verboten.
    Die Verwandten, die wir mit westlichen Gaben segneten, hatten, gelinde gesagt, zur DDR ein eher nüchternes Verhältnis. Irgendwie
     hing es mit der Geschichte zusammen. Jahrhundertelang eingekesselt zwischen Preußen, Österreich
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