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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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und den russischen Zaren,
     dann zwischen Hitler und Stalin, hatten die Polen ein feines Rangsystem nationaler Antipathien entwickelt. Ganz unten rangierte
     mein Schwellenland, amalgamierte es |36| doch die zwei Schreckgespenster der jüngeren polnischen Geschichte: Der nationalsozialistischen Herrschaft entwunden, mauserte
     sich die DDR innerhalb kürzester Zeit zum Musterknaben der sozialistischen Sowjetdoktrin.
    Polen hingegen war ein eigenwilliger Satellitenstaat des Ostblocks. Weder die Kollektivierung der Landwirtschaft funktionierte
     reibungslos, noch konnte die polnische Staatspartei die Macht und die Folklore der katholischen Kirche begrenzen; 1980 ließen
     die wankelmütigen Kommunisten sogar kurzzeitig eine unabhängige Gewerkschaft zu – mit Streikrecht und Zugangsberechtigung
     zu den Massenmedien. Selbst nach der blutigen Zerschlagung der Solidarność zeigten die polnischen Machthaber in SED-Augen
     eine unverständliche Schwäche. Der Parteigeneral Wojciech Jaruzelski sah sich in den 80ern immer häufiger gezwungen, mit antikommunistischen
     Gruppierungen in einen staatszermürbenden Dialog zu treten; bis schließlich 1988 der Runde Tisch geboren wurde. Das sozialistische
     Regime hatte sich selbst aufgegeben. Als Monate später die Berliner Mauer fiel, da nahmen das die Polen eher beiläufig zur
     Kenntnis; hatten sie sie doch selbst seit acht Jahren schleichend abgetragen. Kurz vor dem Mauerfall stichelten sie sogar
     ein wenig, angesichts ihrer eigenen jahrzehntelangen Courage. Am 9. November war Helmut Kohl in Warschau. Noch am späten Nachmittag
     spottete Wałęsa über die Verzagtheit der Ostdeutschen. |37| Dann über die Westdeutschen: daß sie an eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht glaubten. Wenige Stunden vor dem Mauerfall
     erwiderte Kohl: »Ich werde die Wiedervereinigung nicht mehr erleben. Sie, Wałęsa, sind einige Jahre jünger als ich – Sie könnten
     vielleicht noch ihr Zeuge werden.«
    Im Wiedervereinigungstaumel haben die Deutschen die Polen dann bald aus den Augen verloren. Die Solidarność-Bewegung war in
     weite Ferne gerückt. Nur am Rande machten die Polen von sich reden: mit Ostblockkitsch am Potsdamer Platz oder Polenmärkten
     in den Grenzregionen.
    Das Land meiner Kindheit hat sich die deutsche Medienpräsenz erst zurückerobern können, als Harald Schmidt seine Polen-Witze
     auspackte. Meine Familie und ich, wir wähnten uns mittlerweile so deutsch, daß wir über die Polen lachten. Schmidt grinste
     in die Kamera: »Was kommt dabei raus, wenn man einen Ossi und einen Polen miteinander kreuzt? Einer, der zu faul zum Klauen
     ist.«
    Es war einer der letzten Kalauer über Polen in der
Late-Night-Show
. Mittlerweile wurde nur noch mäßig gelacht. Vielleicht, weil die Wirtschaft der Autoklauer Ende der 90er Jahre boomte, während
     der Osten Deutschlands stagnierte. Wer heute durch Warschau mit seinen gläsernen Hotelpalästen rund um den stalinistischen
     Kulturpalast schlendert, der versteht, warum die Schmidtschen Pointen nicht mehr recht zünden.
    |38| Auch von Polen aus betrachtet, büßt Deutschland seit 16 Jahren schleichend an Glanz ein. Einst hatten sich die Care-Pakete,
     die wir in nächtlichen Überfahrten durch ein dunkles Land manövrierten, tief in das polnische Gedächtnis gebrannt. Während
     die BRD mit ihrer magischen Warenwelt das Ziel der Polen auf dem Weg zu Wohlstand und Demokratie markierte, war der Schurkenstaat
     DDR ein dankbarer Blitzableiter. Das ist vorbei und wohl ein Grund für das diffuse Mißtrauen gegenüber dem wiedervereinigten
     Nachbarn, der jenseits der Oder zunehmend als ein gefährlicher Revanchist wahrgenommen wird. Manchmal scheint es, als sei
     das Bekenntnis des französischen Schriftstellers François Mauriac für die Polen aktueller denn je: »Ich liebe Deutschland
     so sehr, daß ich glücklich bin, zwei davon zu haben.«
    Polen wiederum hat den Westdeutschen über lange Zeit ein komplementäres Bild ihrer selbst geliefert: verlottert statt solide,
     arm statt reich, schmutzig statt sauber, patriotisch statt selbstzerknirscht. Und die polnische Sprache, die ich in Deutschland
     tilgte, erklang wie ein ferner Traum, sobald wir in Polen ankamen, mit Paketen aus dem Westen.
    Ein Zeitsprung, als der Passat in Biskupiec einfuhr, einem kleinen Dorf an der masurischen Seenplatte, wo die Verwandtschaft
     meines Vaters wohnte. Die Straßen nicht asphaltiert, das Wasser aus Pumpen, die in unregelmäßigen Abständen die
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