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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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werde ich »kaum von Kameraden verstanden«. Von
     Frau Schmitt wiederum, die eine dicke Hornbrille trug, wurde kolportiert, sie selbst sei nur mühsam zu verstehen. Sie stamme
     aus Niederbayern und sei, nachdem sie einen reichen Weinbauern geheiratet hatte, eher zufällig ins Rheinland geraten.
    Mir schien, wir waren, meiner Lehrerin nicht unähnlich, nicht einfach hierhergezogen, sondern eine fremde Macht hätte uns
     von einem Erdteil auf einen anderen transplantiert. Über Nacht verschwanden die Insignien des Ostens: Mein Vater nahm sich
     seinen polnischen Schnurrbart ab, und Mutter trug Jeans statt bunter Röcke, die kleinen Kioske mit Plastiksoldaten wurden
     ersetzt durch Kaufhäuser mit Spielwarenabteilungen. Sie stellten die sozialistische Warenwelt in den Schatten.
    Als gelte es, eine Wunde zu schließen, versorgten wir uns mit Konsumgütern. Das erste Auto, das Vater für 500 Mark von einem
     türkischen Gebrauchtwagenhändler erstand, war ein orangefarbener Ford Capri, der wie ein Sportwagen aussah, dessen Leistungsfähigkeit
     allerdings äußerst begrenzt war. Bereits leicht ansteigende Landstraßen meisterte er nur im zweiten Gang. Vater liebte ihn.
     Es war sein erstes Auto. Und von Autos |25| hatte er in Polen oft gesprochen. Doch schon wenige Monate später mußte der Capri einem weitaus robusteren Nachfolger weichen:
     dem VW Passat in Dunkelgrün. Der Ford hatte nach einer Fahrt durch eine Waschstraße kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben.
    Ich saß auf dem Rücksitz, und das Autoradio wurde immer leiser, wurde übertönt von dem mächtigen Platzregen, der von allen
     Seiten auf die Karosserie prasselte. Wir überließen unser Schicksal einem Laufband, das uns durch das Hauptprogramm führte.
     Bunte Bürsten näherten sich bedrohlich, rotierend umzingelten sie das Blech, schäumten es ein. Nach der Waschstraßenfahrt
     wurde kurz inspiziert, ob noch alles dran war: Heckspoiler, Seitenspiegel und Radioantenne waren unversehrt, der Capri strahlte
     in sattem Orange, duftete nach frischer Wäsche – und sprang nicht mehr an. Zum erstenmal maschinell gereinigt, mußte er vom
     Waschstraßengelände abgeschleppt werden, mit dem Dreck war gleichsam sein Leben hinweggespült worden.
    Und der Westen hatte Vater erstmals einen Makel offenbart. Bevor der Abschleppdienst kam, löste er fluchend das kleine Papstbild
     und die heilige Mutter Gottes vom Armaturenbrett und klebte bald darauf beides in den Passat.
    Vater rühmte die deutsche Autobahn, den glatten Asphalt, das dichte Straßennetz, den ADAC. Er fragte |26| sich eine Zeitlang, weshalb so viele Städte in Deutschland »Ausfahrt« hießen. Bis er die Schilder richtig deutete.
    Es geschah oft, daß Vater nicht verstanden wurde. Er hatte sich ein eigentümliches Deutsch angeeignet, es folgte einer einsamen
     Grammatik. Deutsche Wörter beugte er mit polnischen Endungen. Man begriff sein Deutsch häufig nur, wenn man auch Polnisch
     verstand.
    Er stritt in einem kleinen Geschäft, das Tabakwaren, Waffen und Schweizer Taschenmesser führte, mit zwei Verkäufern. Sehr
     lebhaft. Die Verkäufer zeigten ihm Messertaschen, doch Vater wollte ein Taschenmesser. Allerdings hatte er nach einer »Messertasche«
     gefragt. Mutter lachte, wozu auch ein Taschenmesser, lebten wir denn im Urwald?
    Mutter wiederum schämte sich beim Metzger. Sie kochte gerne
flaki
, eine polnische Innereiensuppe. Kaufte sie die Kutteln, dann fühlte sie sich ertappt. Nur Polen kaufen in großen Mengen Kutteln
     ein, behauptete sie. Die Deutschen kauften sie nur, um sie an ihre Hunde zu verfüttern.
    Später hieß es, die 80er Jahre seien das langweiligste Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gewesen: ein Jahrzehnt, in dem Nicole
     ein bißchen vom Frieden sang und Boris Becker ein wenig Tennis spielte. Unsere Realität sah anders aus: Ein feiner Riß trennte
     die Vergangenheit von der Zukunft, Polen von Deutschland. Und das |27| neue Land, Deutschland, funkelte in den ersten Monaten nach unserer Ankunft an jeder Straßenecke. Koblenz, die 100   000-Einwohner-Stadt am Rhein, schien ein einziges Lichtermeer aus Reklame, die stählernen Karosserien spiegelten sich im Licht
     der Straßenlaternen, die Geschäfte bargen glitzernde Süßwaren, die Bäckereien quollen über vor süßem Gebäck und Bienen, die
     in den Auslagen wild umherschwirrten, sich labend am Zucker. Alles schien größer und prächtiger als in der Vergangenheit,
     selbst die Bäckerinnen, die mit lachendem Gesicht und
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