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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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»Ich rrrannte wieder im Galopp.«
     Nachmittags dampfte und brodelte es in ihrer eigenen Wohnung. Bis abends Vater, der Maschinenbautechniker, verschwitzt ins
     Wohnzimmer trat. Um zu essen, manchmal Piroggen, manchmal Borschtsch, um zu duschen, um uns Söhne vor den Fernseher oder unsere
     Hausaufgaben zu setzen; und um sich gegen acht mit seiner Frau zur dritten Putzstelle auf den Weg zu machen: einem Friseursalon.
     Während unsere Eltern putzten, wurde ich mit meinem Bruder vom öffentlichrechtlichen Fernsehen prächtig versorgt:
Ein Colt für alle Fälle
. Lee Majors raste Verbrechern hinterher, und im Abspann lief
The Unknown Stuntman
: »I might fall from a tall building, I might roll a brand-new car, ’cause I’m the unknown stuntman that made Redford sucha
     star.«
    Meine Eltern liefen in Deutschland einem ehrwürdigen Traum der Aufklärung hinterher. Durch Leistung, nicht durch die Macht
     der Geburt, galt es, eine kapitalistische Identität zu stiften, die aus dem gesellschaftlichen Nichts entsprang und zur höchsten
     Anerkennung vordrang. Durch Fleiß, durch Arbeitskraft, durch drei Putzstellen an einem Tag wollte man es ihnen zeigen. Wollte
     man es allen zeigen. Denen, die der |44| Wohlfahrtsstaat leidlich verpflegte; denen, die sich auf einem bundesrepublikanischen Erbe ausruhten; denen, die sich entspannten
     auf dem bisher Erreichten. Der Putzfrauenstolz, dessen man sich bei Besuchen in der alten Heimat schämte und den man dort
     sorgsam verbarg, entsprang der Entbehrung, dem Geiz, der Genußangst. »Wir gehen nicht wie die Deutschen essen und verprassen
     an einem Abend fünfzig Mark«, trichterte mein Vater mir ein. Immer wieder. Noch heute kennt er, wie die meisten polnischen
     Immigranten, keine Deutschen. Weil er jede Eckkneipe verschmäht. Noch heute kennen die Polen nicht diejenigen, denen sie es
     zeigen wollten.
    Es ist Sonntag abend. Novemberregen. Mein Vater steht hinter meiner Mutter in der Küche. Er schlürft gemächlich einen Kaffee.
     Seine Füße stecken in dicken Puschen. Ein kleiner Bauch zeugt von gemütlichen Bieren vor dem Flachbildschirm-Fernseher, den
     er beiläufig ins Visier nimmt. »Ich habe ja Abitur«, sagt er etwas abwesend. Immer habe er sich gesagt, er sei der einzige
     Mann mit Abitur in diesem Land, der putze. Seine Frau legt kurz die faltigen Hände übereinander. Hände, die seit fast 24 Jahren
     unzählige Eimer mit Reinigungsmittel trugen, die energisch Putzlappen auswrangen und die tagaus, tagein tief in fremde Kloschüsseln
     drangen. Sie ist 56 Jahre alt und hat noch immer ein junges, ein mädchenhaftes Gesicht. Wären da nicht die Greisenhände. »Von
     dem scharfen Zeug«, sagt sie. »Aber ich |45| habe Glück gehabt.« Die meisten hätten, erklärt sie, indem sie auf ihr linkes Handgelenk zeigt, irgendwann chronische Sehnenscheidenentzündungen.
     Vom Auswringen. »Die polnische Putzfrau erkennt man an ihren Operationsnarben.« Sie selbst kann seit kurzem nur noch wenige
     Stunden in der Woche putzen. Abends im Friseursalon, übermüdet von einem endlosen Tag, ist sie auf dem feuchten Fußboden ausgerutscht.
     Bandscheibenvorfall. Karriereknick. Dennoch ist vieles einfacher geworden. »Die Arbeit ist nicht mehr so körperlich.« Dank
     elektronischer Hochdruckbohnermaschinen werden die Gelenke geschont, sogenannte Multisauger sprühen, waschen und saugen neuerdings
     in einem Arbeitsgang.
    Die Wohnung meiner Eltern ist blank poliert; als beschäftigten sie selbst eine Putzkolonne. Die Möbel, helle Kiefer, erwecken
     den Anschein, als seien sie erst in allerjüngster Zeit sorgsam aus einem Einrichtungshaus erworben worden. Keine Fernsehzeitung
     liegt auf dem Sofatisch, kein Kissen stört die akkurate Symmetrie der weißen Couchgruppe; Ordnung ist hier das ganze Leben.
     Mutter steht langsam auf, wendet mir in der Küche den Rücken zu. »Ein Knopfdruck genügt heutzutage«, sagt sie, als eine chromfarbene
     Espressomaschine unvermittelt mit einem surrenden Geräusch heißen Kaffee spendet. »Am Anfang, da hab ich mich geschämt. Am
     Anfang, als wir in ein kleines Sechsparteienhaus zogen, da habe ich das Putzen verheimlicht. Es war ja so: In |46| Polen als Polin zu putzen, das war der letzte Dreck. So wie es der letzte Dreck ist, wenn Deutsche in Deutschland putzen.
     Ich habe das auch in Polen verheimlicht. Wir wurden ja ein bißchen reich durch das Putzen, und die Polen hatten damals in
     ihrem Land nichts zu essen. Aber wenn ich zu Besuch war,
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