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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Autoren: Adam Soboczynski
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Dorfstraße
     säumten, die |39| Frauen, mit 45 Jahren bereits gealtert, in bunten Schürzen, die Männer mit löchrigen Anzügen. Vor den Häusern standen Holzschuppen,
     von Fliegen umschwirrt: Aborte. An den Häuserwänden lehnten Betrunkene, wankend, mit geröteten Augen. Großmutter Maria nahm
     in ihrer kleinen Küche eine Gans aus, es roch nach Tier, sie umarmte uns mit blutigen, großen Händen und lachte. Großvater
     Leon mästete derweil die Schweine. Und nun war es unser Auto, das die Männer des Ortes inspizierten und auf dessen Kühlerhaube
     sie anerkennend klopften. Vater rannte durch das Dorf und nahm es auf, mit einer neu erstandenen Videokamera, die Gegenwart
     konservierend. Er wurde mißtrauisch beäugt.
    Ein jeder Sommer in Polen wurde mir fremder. Durch die ewige Wiederholung der gleichen Prozedur auch mythisch entrückt: durch
     die Gans, die ausgenommen wurde, das Mästen der Schweine, den Wodka, der die Runde um den kleinen Wohnzimmertisch machte,
     die staubigen Straßen. Und die Sprache, derer ich nur mehr mit deutschem Akzent mächtig war, wurde zu einem irritierenden
     Fremdkörper. Es gab eine Zeit, in der ich nach deutschen Wörtern in Deutschland und polnischen Wörtern in Polen suchte.
    Nach der Wende wurden meine Besuche in Polen seltener. Großvater Leon starb an einem Schlaganfall, noch bevor die Kommunisten
     verschwanden, Großmutter an einem Herzinfarkt kurz darauf. Ich blieb zumeist bei Freunden in Koblenz, statt mit meinen Eltern
     nach |40| Polen zu reisen. Ein Land, das mir lästig war, das, einer Narbe gleich, mir meine Verpflanzung, meine abgeschüttelte Kindheit
     vor Augen hielt. Erst Jahre später fuhr ich wieder nach Polen, alleine, der Erinnerung wegen.

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DIE PUTZFRAUEN
    ANGEKOMMEN IN KOBLENZ, begannen meine Eltern zu putzen. Einem Klischee zufolge ist Deutschland ja ein ungeheuer sauberes Land.
     Einem zweiten Klischee zufolge wird es fast ausschließlich von Polinnen saubergehalten. Das zweite Klischee stimmt. Ich habe
     es am eigenen Leibe erfahren, denn ich bin der Sohn einer polnischen Putzfrau, der Neffe putzender polnischer Tanten. Die
     ersten Schritte im ersehnten Wirtschaftswunderland wurden von polnischen Frauen auf Knien gemacht: Sie wischten und polierten,
     sie drangen mit ihren Händen in die dunklen, in die dreckigen Ecken der Republik. Dem Armenhaus Polens entkommen, putzten
     sich Polinnen einen tief ersehnten Wohlstand herbei.
    Seit unserer Ankunft ist Koblenz ein gutes Stück sauberer geworden, denn seither rückt meine Mutter mit Putzlappen, Glasreinigern
     und Wischmops der rheinischen Provinzstadt zu Leibe: »Gerade in den ersten Jahren habe ich geputzt bis zum Umfallen. Es gab
     Zeiten, da hatte ich drei Putzstellen – auf einmal.« Morgens um |42| halb fünf bohnerte und wienerte sie den Boden eines bekannten Papiertaschentuchherstellers. »Bis die letzte Ecke glänzte«,
     sagt sie nicht ohne Stolz. Dann eilte sie »im Galopp« nach Hause, um »euch Kinder zur Schule fertig zu machen«. Auf dem frühmorgendlichen
     Nachhauseweg, so gegen sieben, ging sie zusammen mit zehn anderen Putzfrauen durchs Kreuzchen. Kreuzchen, eine Wohnblocksiedlung
     aus den Sechzigern in Koblenz-Neuendorf, ist das Synonym für jene »Paral lelgesellschaft «, von der zur Zeit so gerne die Rede ist. Türken basteln bis spät in die Nacht an tiefergelegten Golfs, rußlanddeutsche Halbstarke
     in Jogginganzügen spucken im Takt auf kotige Gehsteige, verwaiste Einkaufswagen hängen in den Büschen.
    Die Putzkolonne passierte allmorgendlich ein Schwerbehindertenwohnheim. Die Mongoloiden riefen ihnen frühmorgens im Chor entgegen:
     »Die Putzfrauen sind da! Die Putzfrauen sind da!« Sie preßten ihre Köpfe durch die Gitterstäbe des Eisenzauns.
    Zu Hause, am Rande des Kreuzchens, angekommen, wurden mein Ranzen und der meines Bruders mit Pausenstullen gefüllt. Wir gingen
     zur Grundschule, meine Mutter ging zu den Wagners. Ein guter Job: von neun bis 13 Uhr. »Er war Rechtsanwalt und erfolgreich.
     Sie Lehrerin. Zum Putzen hatten sie keine Zeit.« Zum Bügeln auch nicht, weder zum Spülen noch zum Kochen. Als es dampfte und
     brodelte, die Wäsche in der Maschine rotierte und das Bad in aseptischem Glanz erstrahlte, |43| kehrte eine zumeist gutgelaunte Pädagogin in ihr von Allzweckreiniger- und Küchengeruch erfülltes Eigenheim zurück. »Auftischen
     mußte sie noch selbst. Denn ich rannte wieder nach Hause«, sagt Mutter mit einem rollenden R:
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