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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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Lungenzug.
    »In Dutch Harbor gibt’s doch Zigaretten?«
    »Für welche Art von Verbrechen waren Sie zuständig?«
    »Ich habe gehört, daß sich in Dutch Harbor die Zigaretten bis zur Decke stapeln. Und frisches Obst. Und Stereoanlagen.«
    Slawa verlor die Geduld. »Wo haben Sie gearbeitet?«
    »In Moskau.« Arkadi stieß den Rauch aus. Zum erstenmal wandte er seine ganze Aufmerksamkeit dem Tisch zu. »Und mit Unfällen hatte ich nichts zu schaffen. Wenn sie über Bord gegangen ist, wie habt ihr sie dann zurückgekriegt? Ich hab nicht gehört, daß die Maschinen gestoppt hätten, um sie aufzufischen. Wie ist die Leiche also hergekommen?«
    »Das braucht Sie nicht zu kümmern.«
    »Als ich noch Chefinspektor war«, sagte Arkadi, »mußte ich mir tote Menschen ansehen. Jetzt, wo ich ein einfacher russischer Arbeiter bin, reichen mir die toten Fische. Viel Glück.«
    Er machte einen Schritt auf die Tür zu. Das wirkte wie ein Knopfdruck. »Sie ist im Netz hochgekommen«, versetzte Slawa rasch.
    »Ach, wirklich?« Arkadis Interesse war unwillkürlich geweckt.
    »Das ist erstaunlich.«
    »Bitte.«
    Arkadi machte kehrt und zog das Laken zurück.
    Obwohl ihre Arme über den Kopf ausgestreckt dalagen, sah er, daß die Frau klein war. Sehr weiß, wie gebleicht. Noch kalt. Die Kleider klebten an ihrem Körper wie ein nasses Totenhemd. Ein Fuß steckte in einem roten Plastikschuh. Braune Augen blickten träge aus einem dreieckigen Gesicht. Ihr Haar war kurz und blond, wuchs aber am Ansatz schwarz nach. Ein Muttermal, ein Leberfleck am Mund. Arkadi hob ihren Kopf. Als er ihn wieder losließ, glitt er schlaff auf den Tisch zurück. Er befühlte ihren Hals, die Arme. Die Ellbogen waren gebrochen, doch er konnte keine auffälligen Prellungen feststellen. Ihre Beine waren steif. Ein intensiver Geruch nach Meer ging von ihr aus, schlimmer als bei den Fischen unten. Sie hatte Sand im Schuh, also mußte sie auf Grund gegangen sein. An Unterarmen und Handflächen bemerkte er Hautabschürfungen, die wahrscheinlich vom Netz herrührten, das sie wieder heraufgebracht hatte.
    »Sina Patiaschwili«, sagte Arkadi. Sie hatte in der Cafeteria gearbeitet, an der Essensausgabe, wo sie Kartoffeln, Kohl und Kompott austeilte.
    »Sie sieht anders aus«, analysierte Slawa. »Anders als vorher, als sie noch gelebt hat, meine ich.«
    Aus zwei Gründen, dachte Arkadi. Einmal durch den Tod, dann durch das Meer. »Wann ist sie über Bord gegangen?«
    »Vor ein paar Stunden«, antwortete Slawa. Er baute sich in gebieterischer Haltung am Kopfende des Tisches auf. »Sie war wohl an der Reling und ist runtergestürzt, als das Netz eingeholt wurde.«
    »Hat sie wer gesehen?«
    »Nein, es war doch stockdunkel. Und dann der starke Nebel. Wahrscheinlich ist sie ertrunken, sowie sie ins Wasser eintauchte. Oder der Schock hat sie umgebracht. Oder sie konnte nicht schwimmen.«
    Arkadi betastete erneut den schlaffen Hals und sagte: »Ich würde eher sagen, sie ist seit gut vierundzwanzig Stunden tot. Die Leichenstarre fängt beim Kopf an und endet an den Füßen, und in genau der Reihenfolge läßt sie auch wieder nach.«
    Slawa wiegte sich leicht auf den Absätzen, allerdings nicht wegen der Bewegung des Schiffes.
    Arkadi warf einen Blick zur Tür und fragte dann mit gedämpfter Stimme: »Wie viele Amerikaner sind an Bord?«
    »Vier. Drei Firmenvertreter und ein Beobachter von der amerikanischen Fischereibehörde.«
    »Und? Wissen sie schon Bescheid?«
    »Nein. Zwei lagen noch in ihrer Koje. Einer war an der Heckreling. Von dort bis zum Trawldeck ist es ein ganz schönes Stück. Und der andere, der von der Behörde, war irgendwo drinnen und hat seinen Tee getrunken. Zum Glück war der Trawlmaster intelligent genug, die Leiche wegzuschaffen, bevor einer von den Amerikanern sie entdecken konnte.«
    »Aber das Netz wurde doch von einem amerikanischen Boot geliefert. Haben die denn nichts gesehen?«
    »Die wissen immer erst, was sie gefangen haben, wenn wir es ihnen sagen.« Slawa überlegte. »Trotzdem sollten wir eine einleuchtende Erklärung vorbereiten, für alle Fälle.«
    »Ach ja, eine Erklärung. Nun, sie hat doch in der Küche gearbeitet.«
    »Ja, und?«
    »Wie wär’s mit Lebensmittelvergiftung?«
    »So was hab ich nicht gemeint.« Slawa wurde rot. »Jedenfalls hat der Arzt sie untersucht, als wir sie herbrachten, und er sagt, sie ist erst seit zwei Stunden tot. Wenn Sie so ein guter Ermittlungsbeamter wären, dann säßen Sie jetzt noch in
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