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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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knurrte Israel den Maat an. »Wenn Sie ihn haben wollen, nehmen Sie ihn mit.«
    Das Förderband lief wieder an, als Arkadi dem Maat nach achtern folgte. Vorsichtig trat er über die Abflußrinnen, die flüssigen Schleim und Fischtran durch Öffnungen im Kielraum direkt ins offene Meer leiteten.
    Slawa blieb stehen und musterte ihn, als versuche er, eine Maske zu durchdringen. »Sie sind doch Renko, der Ermittlungsbeamte?«
    »Jetzt nicht mehr.«
    »Aber Sie waren es«, sagte Slawa, »das reicht vollkommen.«
    Sie stiegen die Treppe zum Hauptdeck hinauf. Arkadi nahm an, der Dritte Maat würde ihn zum Politoffizier bringen oder wollte seine Kabine durchsuchen, obwohl das auch ohne ihn hätte geschehen können. Sie kamen an der Kombüse vorbei, aus der ihnen Dampfschwaden und der Duft von Makkaroni entgegenschlugen. Vor einem Transparent mit dem Aufruf »Steigert die Produktion der Agrarindustrie! Unser Ziel ist die ausreichende Versorgung aller Genossen mit Fischprotein!« bogen sie links ab und blieben vor der Tür zum Krankentrakt stehen.
    Die Tür wurde von zwei Mechanikern bewacht, die die roten Armbinden der freiwilligen Ordnungshüter trugen. Skiba und Slesko waren zwei Spitzel - miese Faulenzer in den Augen der übrigen Mannschaft. Schon als Arkadi und Slawa eintraten, zog Skiba ein Notizbuch aus der Tasche.
    Die Polar Star verfügte über eine Klinik, größer, als die meisten Kleinstädte Rußlands eine besaßen: ein Sprechzimmer, ein Untersuchungsraum, ein Krankenrevier mit drei Betten, ein Quarantänezimmer und ein Operationssaal, in den Slawa jetzt Arkadi führte. An den Wänden standen weiße Schränke mit Glasbehältern, in denen die Instrumente in Alkohol aufbewahrt wurden, eine verschlossene rote Vitrine mit Zigaretten und Medikamenten, davor ein Handwagen mit einem grünen Sauerstofftank und einem roten für Lachgas, ein Aschenbecher auf einem Ständer und ein Spucknapf aus Messing. An einer Längswand hingen anatomische Karten, die Luft war geschwängert vom beißenden Geruch der Desinfektionsmittel. In einer Ecke stand ein Zahnarztstuhl. Über den Operationstisch in der Mitte des Raumes war ein Laken gebreitet. Unter dem völlig durchgeweichten Stoff zeichneten sich die Konturen eines Frauenkörpers ab. Vom Rand des Tisches baumelten Gurte hinab.
    Die Bullaugen des Raumes waren wie helle Spiegel, denn draußen herrschte pechschwarze Nacht, sechs Uhr, noch eine Arbeitsstunde bis zur Morgendämmerung. Und wie fast jedesmal an diesem Punkt seiner Schicht staunte Arkadi darüber, wieviel Fisch es dort draußen gab. Seine Augen kamen ihm vor wie diese Bullaugen. »Was wollen Sie von mir?« fragte er.
    »Wir haben eine Leiche«, versetzte Slawa.
    »Das sehe ich.«
    »Eins von den Mädchen aus der Kombüse. Sie ist über Bord gegangen.«
    Arkadi blickte zur Tür und stellte sich vor, wie Skiba und Slesko auf der anderen Seite lauschten. »Was hab ich damit zu schaffen?«
    »Liegt doch auf der Hand. Unser Gewerkschaftskomitee muß über jeden Todesfall Bericht erstatten, und ich bin hier der Gewerkschaftsvertreter. Sie sind der einzige an Bord, der Erfahrung hat mit gewaltsamem Tod.«
    »Und mit Auferstehung«, sagte Arkadi. Slawa blickte ihn verständnislos an. »Das ist so eine Art Rehabilitation, nur angeblich dauerhafter. Schon gut.« Arkadi betrachtete die Zigaretten im Laborschrank; Papirossy, Pappröhrchen, gestopft mit Tabak. Aber der Schrank war abgeschlossen. »Wo ist der Arzt?«
    »Schauen Sie sich die Leiche an.«
    »Zigarette?«
    Der überrumpelte Slawa fummelte in seiner Brusttasche und brachte eine Packung Marlboro zum Vorschein. Arkadi war beeindruckt. »In dem Fall wasche ich mir vorher die Hände.«
    Aus dem Wasserhahn kam eine braune Brühe, aber sie spülte Schleim und Schuppen von Arkadis Fingern. Altgediente Seeleute erkannte man an ihren verfärbten Zähnen, einem Zeichen dafür, daß sie ein Leben lang Wasser aus rostenden Tanks getrunken hatten. Über dem Becken hing der erste saubere Spiegel, in den Arkadi seit fast einem Jahr geblickt hatte. »Auferstehung« war ein gutes Wort. »Ausgegraben«, entschied er, paßte jedoch besser auf ihn. Die Nachtschicht auf dem Fabrikschiff hatte seinem ohnehin blassen Gesicht auch den letzten Rest Farbe entzogen. Dauerhafte Schatten schienen seine Augen zu umlagern. Sogar die Handtücher waren sauber. Er erwog, bei Gelegenheit krank zu werden.
    »Wo waren Sie Ermittlungsbeamter?« fragte Slawa, während er ihm Feuer gab. Arkadi nahm einen tiefen
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