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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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bin einer der leitenden Kapitäne der Fernost-Flotte«, versetzte Martschuk. »Und außerdem dekorierter Held der sozialistischen Arbeit, aber nicht einmal ich schwärme derart für das Meer. Wie dem auch sei, ich wollte Sie beglückwünschen. Der Arzt hat seine Diagnose widerrufen. Sina Patiaschwili ist nicht letzte Nacht gestorben, sondern schon in der vorletzten. In seiner Eigenschaft als Gewerkschaftsvertreter wird Genosse Bukowski natürlich für den Bericht über diesen Vorfall verantwortlich zeichnen.«
    »Genosse Bukowski ist dieser Aufgabe zweifellos gewachsen.«
    »Jedenfalls gibt er sich die größte Mühe. Trotzdem ist ein Dritter Maat kein Chefinspektor. Außer Ihnen haben wir niemand Qualifizierten an Bord.«
    »Mir scheint, der junge Mann hat viel Unternehmungsgeist. Immerhin hat er schon bis in die Fabrik gefunden. Ich wünsche ihm Glück.«
    »Lassen Sie uns doch wie Erwachsene miteinander reden. Die Polar Star verfügt über eine Mannschaft von zweihundertsiebzig Mann, Matrosen, Mechaniker und Fabrikarbeiter wie Sie. Fünfzig der Besatzungsmitglieder sind Frauen. Wir sind also gewissermaßen ein sowjetisches Dorf in amerikanischen Gewässern. Die Nachricht von einem ungewöhnlichen Todesfall auf der Polar Star wird unweigerlich Aufsehen erregen. Da ist es von größter Wichtigkeit, daß auch nicht der leiseste Verdacht entsteht, wir wollten etwas vertuschen oder hätten es gar an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen.«
    »Demnach wissen die Amerikaner also schon Bescheid?«
    Martschuk versuchte nicht, das abzustreiten. »Ihre Chefbevollmächtigte hier an Bord hat mir bereits einen Besuch abgestattet. Der Umstand, daß dieses unglückliche Mädchen schon vor zwei Nächten ums Leben kam, macht die Lage natürlich erst recht prekär. Sie sprechen doch Englisch?«
    »Hatte schon lange keine Gelegenheit mehr dazu. Aber die Amerikaner an Bord sprechen ja Russisch.«
    »Sie tanzen nicht?«
    »In letzter Zeit nicht mehr, nein.«
    »Vorgestern abend hatten wir eine Tanzveranstaltung«, warf Slawa ein. »Zu Ehren der Fischer aller Nationen.«
    »Da habe ich noch Fische gesäubert. Ich habe nur auf dem Weg zu meiner Schicht kurz reingeschaut.« Der Tanzabend hatte in der Cafeteria stattgefunden. Alles, was Arkadi vom Eingang aus hatte sehen können, waren undeutliche Gestalten, die im Lichterspiel einer sich drehenden Kristallkugel Verrenkungen machten. »Sie haben Saxophon gespielt«, sagte er zu Slawa.
    »Wir hatten Gäste«, erklärte Martschuk. »Zwei amerikanische Fangboote haben an der Polar Star festgemacht, und die Leute haben an unserem Fest teilgenommen. Möglicherweise möchten Sie mit ihnen reden. Die Männer sprechen allerdings nicht Russisch. Natürlich ist das keine Untersuchung; die wird, wie Sie sagen, von den zuständigen Behörden durchgeführt werden, sobald wir nach Wladiwostok zurückkehren. Aber wir sollten schon jetzt, solange die Erinnerung noch frisch ist, Informationen sammeln. Bukowski braucht jemanden zur Unterstützung, jemanden, der in solchen Dingen Erfahrung hat und der Englisch spricht. Nur für heute.«
    »Bei allem Respekt«, warf Slawa ein, »ich bin durchaus imstande, die nötigen Fragen korrekt zu stellen. Dazu brauche ich Renkos Hilfe nicht. Wir dürfen nicht vergessen, daß dieser Bericht vom Flottenkommando gelesen werden wird und vom Ministerium und …«
    Martschuk fiel ihm ins Wort. »Denken Sie an Lenins Ausspruch: >Die Bürokratie ist ein Scheißhaufen!<« Zu Arkadi gewandt fuhr er fort: »Die Genossin Patiaschwili war auf dem Fest, und das fand zu der Zeit statt, in der sie nach Ihrer Ansicht ums Leben kam. Wir schätzen uns glücklich, jemanden mit Ihren Fähigkeiten auf der Polar Star zu haben, und ich nehme doch an, Sie freuen sich über diese Gelegenheit, Ihrem Schiff einen Dienst zu erweisen.«
    Arkadis Blick streifte den Papierwust auf dem Schreibtisch. »Und wie steht es mit meiner politischen Zuverlässigkeit?«
    Martschuks Lächeln stand in auffallendem Kontrast zu seinem strengen Bart. »Dafür haben wir einen Experten. Slawa, unser Freund, Genosse Wolowoi, hat ein gewisses Interesse am Genossen Renko bekundet. Selbstverständlich werden wir nichts ohne Wolowois Einverständnis unternehmen.«
    Zweimal täglich gab es Filmvorführungen in der Cafeteria. Vom Gang her konnte Arkadi nichts weiter erkennen als verschwommene Bilder auf einer Leinwand, die über demselben Podium hing, auf dem Slawa und seine Band zwei Abende zuvor gespielt hatten. Eben landete
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