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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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führenden Kapitäne der fernöstlichen Fischereiflotte gesehen. Allerdings hatte der Künstler seine Züge sanfter erscheinen lassen und Martschuks Kopf auf eine Büste mit Schlips und Kragen gesetzt, so daß er aussah wie ein Schreibtischkapitän.
    In Wirklichkeit hatte Martschuk ein grobes, kantiges Gesicht, das, noch unterstrichen durch den schmucken, schwarzen Individualistenbart, wie aus Holz gehauen schien. In Wollpullover und Jeans, wie ein Naturbursche, befehligte er sein Schiff. Irgendwo in seinem Stammbaum gab es einen Asiaten und wohl auch einen Kosaken. Das gesamte Land wurde von einem neuen Menschenschlag aus Sibirien regiert - Volkswirtschaftler aus Nowosibirsk, Autoren aus Irkutsk und selbstbewußte Seeleute aus Wladiwostok.
    Jetzt freilich, als sein Blick über das Durcheinander auf seinem Schreibtisch glitt, wirkte der Kapitän ratlos. Vor ihm lagen das Dossier eines einfachen Seemanns, ein Code-Buch und ein Dechiffrierschlüssel, ferner ein Notizzettel voller Zahlen, von denen manche rot eingekreist waren, und ein zweites, eng mit Buchstaben beschriebenes Blatt. Er hob den Kopf und sah Arkadi so durchdringend an, als wolle er sich sein Gesicht in allen Einzelheiten einprägen. Slawa Bukowski trat taktvoll einen Schritt beiseite, um den Kapitän nicht zu stören.
    »Es ist immer wieder interessant, Mitglieder der Mannschaft kennenzulernen.« Martschuk deutete mit dem Kopf auf das Dossier. »Ehemaliger Ermittlungsbeamter. Ich habe per Funk zu Hause um nähere Angaben nachgesucht. Und daraufhin hat man mir ganz erstaunliche Informationen übermittelt.« Sein Zeigefinger pochte dumpf auf die dechiffrierten Meldungen. »Chefinspektor im Dienste der Moskauer Staatsanwaltschaft, wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen. Als nächstes finden wir Sie in der unbedeutenden Metropole von Norilsk, auf der Flucht. Keine große Schande, denn schließlich sind viele unserer hervorragendsten Bürger in Ketten im Osten angekommen. Solange sie besserungswillig sind, ist das kein Hindernis. In Norilsk haben Sie als Nachtwächter gearbeitet. Na, fanden Sie als Moskowiter die Nächte dort nicht ein bißchen frisch?«
    »Ich habe mir immer gleich drei Teerfässer angezündet und im Kreis um mich herum aufgestellt. Dazwischen sah ich aus wie ein Menschenopfer.«
    Während Martschuk sich eine Zigarette anzündete, blickte Arkadi sich in der Kajüte um: auf dem Boden ein Perser, in einer Ecke ein eingebautes Sofa, eine nautische Bibliothek auf einem fahrbaren Regal, ein Fernseher, ein Radio und ein antiker Schreibtisch so groß wie ein Rettungsboot. Über dem Sofa hing ein Foto von Lenin bei einer Ansprache vor Matrosen und Kadetten. Drei verschiedene Uhren zeigten Ortszeit, Wladiwostoker und Greenwicher Zeit an. Auf dem Schiff galt Wladiwostoker Zeit; das Logbuch wurde nach GMT geführt. Alles in allem sah die Kapitänskajüte aus wie ein ganz gewöhnliches Arbeitszimmer, das nur zufällig lindgrüne Schotten hatte.
    »Entlassen wegen Vernichtung von Staatseigentum, heißt es hier. Das dürfte wohl der Teer gewesen sein. Dann ist es Ihnen gelungen, in einer Schlachterei unterzukommen.«
    »Da habe ich Rentiere zur Schlachtbank geschleppt.«
    »Aber wieder heißt es, Sie seien wegen politischer Aufwiegelei entlassen worden.«
    »Ich hab mit zwei Burjaten zusammengearbeitet. Die verstanden beide kein Russisch. Aber vielleicht haben die Rentiere geplaudert.«
    »Als nächstes finden wir Sie auf einem Küstentrawler vor Sachalin. Also das, Genosse Renko, überrascht mich wirklich. Auf einem dieser alten Trawler zu arbeiten, das ist ja schlimmer als auf dem Mond. Die denkbar mieseste Arbeit bei denkbar schlechter Bezahlung. Wer da anheuert, ist auf der Flucht vor seiner Frau oder vor Unterhaltszahlungen, ist ein Verbrecher oder vielleicht sogar ein Totschläger. Wir brauchen Mannschaften für die Pazifikküste, also kümmert sich keiner um die Vergangenheit. Und doch lese ich auch hier wieder: >Wegen politischer Unzuverlässigkeit entlassen< Sagen Sie uns doch bitte, was haben Sie in Moskau gemacht?«
    »Meine Arbeit.«
    Martschuk wedelte sich mit einer brüsken Handbewegung den Rauch aus dem Gesicht. »Renko, Sie sind nun schon fast zehn Monate auf der Polar Star. Und Sie haben das Schiff nicht einmal verlassen, als wir nach Wladiwostok zurückgekehrt sind.«
    Wenn ein Seemann von Bord gehen wollte, mußte er die Grenzwache passieren, einen Vorposten des KGB.
    »Ich schwärme eben für das Meer«, sagte Arkadi.
    »Ich
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