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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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bloß mein ganzes Gewicht hinter den Stahl zu stemmen, durchstoße die Vene und bohre den Pickel durch bis auf den Knochen. Auge in Auge, könnte es einen besseren Zeitpunkt für die Abrechnung geben?
    Karp sackte seitlich weg. Bis auf eine Schramme war er unverletzt, aber aus seinem Körper schien alle Kraft geschwunden, als habe sich die Last eines ganzen Lebens plötzlich auf seine Brust gelegt.
    »Es reicht«, keuchte er.
    »Sie werden ja doch erfrieren. Es dauert gar nicht mehr lange«, sagte Karp. Er saß mit untergeschlagenen Beinen am Wasserloch und rauchte eine Zigarette, ein Sibirer, der sich eine Arbeitspause gönnte. »Ihre Jacke ist klatschnaß. In ein paar Minuten sind Sie ein wandelnder Eisblock.«
    »Dann sollten wir schleunigst aufbrechen«, sagte Arkadi. Im Wechsel zwischen den dumpfen Schmerzstößen in seiner Brust und den Kälteschauern fiel es ihm jetzt schon schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.
    »Ich hab nur so nachgedacht.« Karp regte sich nicht. »Was glauben Sie, wie wäre Sinas Leben verlaufen, wenn sie’s geschafft hätte? Mit solchen Träumen könnte man sich ein Leben lang beschäftigen. Haben Sie mal jemanden gekannt, der rübergegangen ist nach Amerika?«
    »Ja, aber ich weiß nicht, wie’s ihr geht.«
    »Zumindest können Sie sich was ausmalen.« Karp stieß eine Rauchfahne aus, die die gleiche Farbe hatte wie der Nebel; er schien umgeben von einer Welt aufgeblähten Rauchs. »Ich hab mir’s überlegt«, fuhr er fort. »Pawel hat jetzt schon die Hosen gestrichen voll. Sie haben ganz recht, sobald wir nach Wladiwostok kommen, werden die uns so lange in die Mangel nehmen, bis einer singt - Pawel oder einer von den anderen. Es kommt gar nicht drauf an, ob Sie’s bis zum Schiff schaffen oder nicht, ich bin auf jeden Fall erledigt.«
    »Geben Sie zu, daß Sie Anascha geschmuggelt haben«, schlug Arkadi vor. »Machen Sie Ihre Aussage, und man wird Sie wegen Wolowoi zu fünfzehn Jahren verurteilen, von denen Sie möglicherweise nur zehn absitzen müssen.«
    »Mit meinem Vorstrafenregister?«
    »Sie waren immerhin ein wichtiger Trawlmaster.«
    »So wie Sie ein Arbeiter in der wichtigen Schmutzbrigade gewesen sind? Die Sieger im sozialistischen Wettstreit - Sie und ich! Nein, die werden auf heimtückischen Mord plädieren.
    Ich hab keine Lust, meine Zähne in einem Straflager zu verlieren. Und ich will schon gar nicht in einem Lager begraben werden. Haben Sie sich diese kleinen Parzellen gleich außerhalb der Umzäunung mal angesehen? Mit ein paar Gänseblümchen drauf für die armen Seelen, die nie freigekommen sind? Das ist nichts für mich.«
    Auf Arkadis Haar und Brauen hatte sich Eis gebildet. Seine Jacke war mit Eis überzogen, und bei jeder Bewegung splitterten seine Ärmel wie Glas. »Alaska ist ein bißchen zu weit für uns. Los, Karp, gehen wir, wir können das unterwegs austragen. Im Gehen halten wir uns wenigstens warm.«
    »Hier.« Karp war aufgestanden und hatte seinen Pullover ausgezogen. »Sie brauchen was Trockenes auf dem Leib.«
    »Und was ist mit Ihnen?«
    Karp streifte Arkadi die Jacke ab und half ihm, den Pullover überzuziehen. Der Trawlmaster trug noch einen zweiten.
    »Danke«, sagte Arkadi. Zusammen mit den Schwimmwesten würde der Pullover möglicherweise für ausreichende Isolierung sorgen. »Wenn wir schnell genug gehen, schaffen wir’s vielleicht beide.«
    Karp bürstete Arkadi das Eis aus dem Haar. »Einer, der so lange in Sibirien gelebt hat wie Sie, sollte wissen, daß die meiste Körperwärme durch den Kopf entweicht. Wenn Sie noch lange hier rumstehen, werden Ihnen die Ohren abfrieren. Ich will ja nur einen Tauschhandel mit Ihnen machen.« Er stülpte Arkadi seine Mütze auf den Kopf und zog die Klappen über den Ohren fest.
    »Ach ja? Und was kriegen Sie?«
    »Die Zigaretten.« Karp fischte das Päckchen aus Arkadis Jacke, ehe er sie ihm zurückgab. »Manchmal mache ich mir ernsthaft Sorgen um Sie, Renko. Wenigstens eine muß doch trocken geblieben sein.«
    Er brach eine undurchnäßte Hälfte ab und zündete sie an dem Stummel an, den er noch zwischen den Lippen hatte. Obwohl Arkadi das Gefühl hatte, sein Blut erstarre im Eis, schien Karp die Kälte überhaupt nicht zu spüren. »Freude.« Er stieß den Rauch aus. »So stand’s auf einem der Plakate im Lager. >Habt Freude an der Arbeit!< - >Neue Generation.< Achten Sie mal auf die Marke.«
    »Kommen Sie jetzt endlich?«
    »An unserem letzten Tag in Wladiwostok haben wir ein Picknick gemacht,
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