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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
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weiteren Glas Merlot. Sie ging vor die Tür und schaute zum klaren Sternenhimmel empor. Sie atmete die kalte Luft ein, die nach Rauch roch.
    Danach setzte sie sich auf das Sofa. Sie packte den Manetti aus, ohne das Papier zu zerreißen, rollte das silberne Band auf, betastete den Schuber, schnüffelte an ihm.
    Sie zog den ersten Band heraus, langsam, behutsam, streichelteden schwarzen Kunstlederumschlag. Sie schlug die erste Seite auf. Sie blätterte im Band, roch an den Seiten. Das war nun also der Manetti.
    Und dann las Margrit Limacher ihren Manetti. Was darin steht, darüber sprach sie nur in sehr allgemeinen Termini. Tiefgreifende Wende! Endlich jemand, der zuhört! Kein Manetti-Leser würde mehr sagen.
    Wenigstens erfuhr man einiges über Margrit Limacher – die meisten Fragen blieben jedoch offen. Ich musste sie also schon persönlich aufsuchen, wenn ich mehr erfahren wollte.
    Und das wollte ich, denn es formte sich in mir eine Ahnung, dass von diesem Manetti eine seltsame Attraktion ausging. Ich wollte mich nicht auf etwas einlassen, das außer Kontrolle geraten konnte.
    Ich fand Margrit Limachers Adresse und Telefonnummer ohne größere Schwierigkeiten mit Tel-Search. »Margrit Limacher kann Ihren Anruf momentan nicht entgegennehmen. Eine Nachricht können Sie nach dem Pieps-Ton hinterlassen. Pieps.«
    Ich hatte nichts anderes erwartet. Nachforschungen müssen schwierig sein, sonst machen sie keinen Spaß.
    Ich begab mich an die Adresse der Arztpraxis, wo sie arbeitete. Sie war in der Nähe des Bullingerplatzes. Die Praxishilfe (Lirjete Berisha) gab mir freundlich Auskunft: Frau Limacher war seit Anfang Juli im Urlaub. Sie machte irgendwo eine Weiterbildung. Nein, sie hatte keine Adresse hinterlassen. Ihre Stellvertreterin, Frau Bannwart, eine sehnige Frau mit schwarzem Pferdeschwanz, wusste auch nichts, bemängelte jedoch meine Haltung. Meine Haltung zu bemängeln, scheint das globale Hobby des 3. Jahrtausends zu sein.
    Nun hatte ich noch ihre Wohnadresse. Es war nicht weit. Ein Haus, Backstein, etwa 1920 erbaut, mit Hinterhof. Ihr Name stand neben dem Klingelknopf. M. Limacher. (Klar, dass da eine Frau wohnte, Männer schreiben ihre Vornamen aus.) Ich klingelte. Nichts geschah.
    Neben dem Hauseingang befand sich ein edles Secondhand-Kleidergeschäft. Kurz entschlossen ging ich hineinund fragte die Inhaberin: »Kennen Sie zufällig Frau Limacher?«
    Die Inhaberin, eine ältere Frau mit kurzen grauen Haaren und grüner Brille, antwortete: »Frau Limacher ist abwesend. Es hat keinen Sinn, sie zu suchen.«
    Das klang ziemlich definitiv, also ging ich wieder hinaus. Nun hatte ich noch die Journalistin, eine Nora Nauer.
    Ich zückte mein Mobilfon und rief den
Tages-Anzeiger
an.
    »Nora Nauer arbeitet nicht mehr bei uns. Sie hat keine Nummer hinterlassen.«
    Da
Buch und Wein
nicht weit entfernt war, begab ich mich dorthin.
    Der Laden war geschlossen, denn ein Schild hing hinter der Tür: Vorübergehend geschlossen.
    Rosmarie Gwerder hatte sich auf den Weg zu einer neuen Herausforderung begeben.
    Margrit Limacher hatte es geschafft, ihre Spuren zu verwischen.

4.
    Ich ging nach Hause und las das zweite Gespräch im
Magazin
nochmals durch: Marcel Lüthi hatte sich auf dem Turbinenplatz, vor dem Puls-5-Gebäude, fotografieren lassen. Er war um die fünfzig, blond, mit Schnauz, breites, etwas teigiges Gesicht, blaues Jackett, weißes T-Shirt, schwarze Hose. Er wirkte nicht sehr fit, aber das kann täuschen. Als Beruf gab er Sachbearbeiter an. Um welche Sachen es sich handelte, erfuhr man nicht. Wahrscheinlich Versicherungen. Wo Marcel Lüthi interviewt worden war, wurde nicht gesagt.
    Nora Nauer: Herr Lüthi, wann haben Sie zum ersten Mal von Roberto Manetti gehört?
    L.: Das war im
Sphères
, als ich eine Freundin traf. Ich wohne ja hier in der Nähe. Die Freundin sagte, dass man Manetti im
Sphères
nicht kaufen könne. Das stimmte abernicht, denn Bruno konnte ihn irgendwie beschaffen. Damals redeten schon alle von Manetti. Ich dachte, dass mich das nichts anging.
    N.: Wieso dachten Sie das?
    L.: Ich bin nicht der literarische Typ. Ich interessiere mich eher für Musik und Film. Ich lese wenig. Zudem halte ich nichts davon, in der Vergangenheit herumzugrübeln. Vergangen ist vergangen. Es geht um die Zukunft.
    N.: Wie kamen Sie dann aber trotzdem zu Ihrem Manetti?
    L.: Eben diese Freundin. Wir saßen vor dem
Sphères
bei einem Cappuccino, da sagte sie: ›Schau, da ist dieser Riniker, er kommt im Manetti vor.‹
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