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P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben

Titel: P.M. Manetti lesen oder Vom Guten Leben
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und Elsa hat sich um alles gekümmert. Es gab keine Trauerfeier, keine Nachrufe – er war ja völlig unbekannt, nichts. Er war erst 58 Jahre alt.«
    »Ähnlich jung wie seine Mutter. Und jetzt hat Elsa auch seine Millionen.«
    »Sei nicht pietätlos – sie hatte ohnehin schon genug Geld. Sie war sehr traurig. Und hat sich dann in diese Expo-Sache gestürzt.«
    »Bei der nichts Gescheites herausgekommen ist.«
    »Ja, sie hat uns nicht wirklich glücklich gemacht.«
    »Eher deprimiert«, versetzte ich.
    »Eine schlechte Lektüre.«
    Thomas griff nach meinem linken Arm, um nachzuschauen, wie spät es war.
    »Scheiße, Egon wartet auf mich, ich muss los.«
    Und weg war er. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. Sonst hatte er jede Menge Zeit, jetzt hatte er seltsam gehetzt gewirkt. Ich glaubte nicht, dass Egon Ammann der Grund dafür war.
    Ich bezahlte.

3.
    Ich hätte gleich damit beginnen sollen, Manetti zu lesen. Er stand zu Hause auf dem Büchergestell bereit. Ich hätte mir viel Ärger und Umstände ersparen können. Doch ich war noch nicht ganz so weit. Manetti sollte man angeblich an einem Stück lesen, das würde einige Wochen dauern. Am besten mietete man eine Wohnung in einem Seitental im Tessin und machte nichts anderes, als Manetti zu lesen, unterbrochen von der Zubereitung von Mahlzeiten und etwas Schlaf. (Das Einkaufen erledigte man möglichst für die ganze Leseperiode in einem Gang.) Das sah nach einer ArtÜberlebensübung à la Thoreau aus. Aber war das die richtige Art, Manetti zu lesen? Und was kam dabei heraus?
    Es hatte im
Tages-Anzeiger Magazin
drei längere Gespräche mit Manetti-Lesern (genau genommen zwei Frauen und einem Mann) gegeben, die berichteten, wie sie Manetti gelesen hatten. Ich hatte die Nummer aufbewahrt – wahrscheinlich haben Sie das auch getan. Sie bildeten für eine gewisse Zeit das Stadtgespräch – bis eben fast alle (außer mir) ihn selbst gelesen hatten.
    Zu jener Zeit musste ich aus meinem Umfeld Dinge hören wie: »Gerade du solltest Manetti lesen.« »Es ist typisch, dass du dich sträubst, Manetti zu lesen.« »Alle lesen Manetti – und was machst du? Du schnüffelst bloß herum.« »Hättest du Manetti gelesen, müssten wir diese Diskussion jetzt nicht führen.« »Natürlich hältst du dich wieder einmal für etwas Besonderes.« Ein gewisser Manetti-Druck baute sich um mich herum auf. Ich musste korrigiert werden. Umso widerspenstiger wurde ich natürlich. Ich lasse mich nicht gern manettisieren.
    Dabei hatte ich mir durchaus schon einige Manetti-Lese-Szenarien zurechtgelegt. Ich hatte sogar schon meine Fühler nach einem Maiensäss auf der Alp Flix ob Sur ausgestreckt.
    Wenn ich Manetti-Leser nach ihrer Leseerfahrung fragte, bekam ich nur ausweichende Antworten des Typs: »Wenn du ihn gelesen hättest, würdest du das nicht fragen.« Noch seltsamer war es, dass ich in jenem Sommer keine Manetti-Leser mehr traf, die ich fragen konnte. Thomas Schneider war zwar noch da, aber sonst herrschte Manetti-Leser-Flaute. Was war los?
    So kam ich auf die Idee, eine dieser Manetti-Leserinnen aufzusuchen. Sie war die erste der interviewten Frauen und hieß Margrit Limacher. Sie hatte Manetti vor etwa einem halben Jahr in einem Dorf im hintersten Verzasca-Tal gelesen, mitten im Winter. Sie hatte ein abgelegenes Rustico, das man nur mit dem Kamin heizen konnte, gemietet und sich mit Lebensmitteln für vier Wochen eingedeckt. Von der Endstation des Postautos bis zu diesem Steinhaus war es einehalbe Stunde zu Fuß. Wenn man von der internationalen Logistik-Faustregel für Lebensmittelversorgung von zwei Kilo pro Person und Tag ausgeht, dann musste sie mindestens 60 Kilo Ware den Berg hinaufschleppen. Dazu kamen natürlich ihre persönlichen Effekten sowie Manettis Notizbücher, die auch noch zwei Kilo wiegen. (Um Manetti zu lesen, musste man zuerst Manetti tragen.) Sie berichtete im
Magazin
, dass sie den Weg drei Mal mit je 20 Kilo Last machte. Holz befand sich zum Glück schon genug beim Haus. Es hatte auch Strom, was wichtig war für Kühlschrank und Kühltruhe, obwohl es so kalt war, dass sie verderbliche Lebensmittel auch einfach draußen hätte lagern können. Aber da gab es natürlich Marder und Füchse. Bären oder Wölfe waren in diesem Tal noch nicht gesichtet worden.
    Aber beginnen wir mit dem Anfang.
    Margrit Limacher sitzt auf dem Foto im
Magazin
auf einem hellen Sofa in ihrer Dreizimmer-Altbauwohnung im Kreis 3 (Nähe Idaplatz). Sie ist 43, Physiotherapeutin,
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