Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plan D

Plan D

Titel: Plan D
Autoren: Simon Urban
Vom Netzwerk:
sagte Voss.
    Wegener drehte die Zeichnung um 9 0 Grad. »Kein Problem.«
    »Landsberger Allee. Rechts Allee der Kosmonauten.«
    »Links«, sagte Wegener. »In die Raoul-Wallenberg-Straße.«
    »Apropos Kosmonauten«, sagte Voss und gab zu viel Gas. »Dieser Schulfreund ist dann also im Lexikon auf einen Trabanten des Mars gestoßen, fliegt irgendwo da oben rum, und dieser Trabant heißt Phobos. Und das hat der dann eingereicht, mit der Begründung, wenn man die neue Pappe Phobos nennt, dann sei das ein Traban t – und eben auch kein Trabant. Aber in jedem Fall ein Sozialist. Dreht sich ja schließlich sein Leben lang um den Mars.«
    »Vierte rechts in die Paul-Dessau-Straße.«
    »Paul Dessau, Paul Dessau, Paul Dessau«, sagte Voss und fuhr mit jedem Paul Dessau langsamer, die Stirn an der Windschutzscheibe, das Kinn auf dem Lenkrad.
    »Da hinten. An dem Stoppschild.«
    »Jawoll, Herr Hauptmann.«
    Die Sonne war plötzlich wieder da, reflektiert von den geöffneten Fenstern der Wohnblocks, ein greller Lichtpunkt, der von Scheibe zu Scheibe sprang, fröhlich neben dem Polizeiwagen durch die Raoul-Wallenberg-Straße hüpfte. Hier wird gerade hunderttausendmal der Essensmief ausgelüftet, dachte Wegener, der Erbseneintopfgeruch, Soljankageruch, Tiefkühlschnitzelgeruch, dann wird der Rondo-Kaffee aus dem Küchenschrank geholt, aufgebrüht, DF F 5 eingeschaltet, Inka Bauses Tacheles-Tagesthema, Nimm endlich ab oder ich stell einen Ausreiseantrag! Hey, Ex-Wess i – quatsch mich nicht mit Drüben voll! Wenn ich damals Mondos gehabt hätte, wärst du heute nicht auf der Welt!
    »Paul Dessau«, freute sich Voss und bog rechts ins Wohngebiet ab.
    »Übernächste links in die Ludwig-Renn-Straße. Numme r 32.«
    »Ludwig Renn, Ludwig Renn, Ludwig Ren n …« Voss kurbelte nach links, zählte die Hausnummern mit, wurde sehr langsam, setzte den Blinker rechts, stoppte auf dem Parkstreifen, schnaufte. Dort, wo seine Stirn die Scheibe berührt hatte, glänzte ein bohnenförmiger Abdruck.
    Wegener klinkte die Beifahrertür auf und atmete tief durch. So gut konnte es also riechen in Marzahn: Nach Herbst, nach gemähtem Gras und nur ein kleines bisschen nach Frittierfett.
    »Seit wir Rapsöl tanken müssen, hab ich zwanzig Kilo zugenommen«, sagte Voss und drückte sich aus dem Wagen. »Krieg bei jeder Fahrt Lust auf Pommes-Mayo. Abhängig wird man in diesem Beruf, Herr Hauptmann, radikal abhängig, aber finden Sie mal einen in der Verwaltung, der Ihnen dafür ne Kur bewilligt!«
    »Sie können es tragen.« Wegener schlug seine Tür zu.
    Die Ludwig-Renn-Straße setzte sich aus einer Handvoll maroder Hochhäuser, gammelnden Trabis, Altglascontainern und gelben Bäumen zusammen. Auf einer vermüllten Wiese stand eine fette Frau in Jogginghose, unbeweglich wie ein Denkmal gegen den Sport. Zwei kleine schwarze Hunde trippelten um sie herum, von ihren Nasen in unvorhersehbaren Schleifen durchs Gras gezogen. Einer der Hunde hockte sich breitbeinig hin, pinkelte, starrte. Von den Betonverschalungen der Balkone blätterte Farbe. In einem Blumenkasten leuchteten die letzten Geranien, an der Brüstung daneben blinkte der erste Weihnachtsschmuck, ein Rentier-Schlitten voller Geschenke, die es niemals geben würde. Zwischen den schiefen Gehwegplatten wuchs Unkraut. Hier wohnen oder tot unter einer Pipeline hängen, dachte Wegener.
    »War mal ne gute Gegend«, sagte Voss, »so um die Wiederbelebung rum. Heute stehen hier nur noch die ollen Kisten und höchstens mal ein Lada und das war’s. Könnense mal sehen.«
    »Numme r 32«, sagte Wegener und betrachtete die Skizze. »Wahrscheinlich eins von den beiden da drüben.«
    Voss das Ross trampelte bis zum nächsten Straßenschild und gestikulierte mit den Vorderhufen in Richtung rechter Turm. Wegener nahm die Abkürzung über den Rasen, zählte die Stockwerke des Hochhauses, geriet irgendwo in der Mitte durcheinander und kam beim zweiten Versuch auf 1 8 Etagen. Manfred Radecker und Ines Dedelow wohnten im sechzehnten Stock. Fischers Wohnung lag also höchstwahrscheinlich irgendwo im oberen Drittel. Der teure Mantel, die goldene Uhr, die Seidenkrawatte, nichts an dem Toten passte zu dieser Adresse. Höchstens seine ausgelatschten Schuhe.
    Als Wegener die Haustür erreicht hatte, stand Voss gebückt vor einer breiten Klingeltafel und las sich Namensschilder vor. Fast die Hälfte der Einsteckfächer war leer. Wegener legte den Kopf in den Nacken. Rötliche Waschbetonplatten türmten sich in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher