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Plan D

Plan D

Titel: Plan D
Autoren: Simon Urban
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Himmel. Eine Platte pro Etage, achtzehn Platten insgesamt. Die Balkone mit Wellblech verkleidet, das irgendwann mal weiß gewesen sein musste. Jetzt fraß sich der Rost aus den Schraublöchern in die Verschalung.
    » R. Brose , Reinke , I. Holzmüller , gibt es hier alle«, sagte Voss und bückte sich noch tiefer. » M. Bussmann , Gert Herzog , E. Fischer , da isser ja, achtzehnter Stock.«
    »Die Toten wohnen immer oben«, sagte Wegener und klingelte.
    Voss fummelte ein Taschentuch aus seiner Uniformjacke, faltete es auseinander, schnäuzte sich.
    Wegener klingelte noch mal bei E. Fischer . Nichts. Dann bei Radecker/ Dedelow . Wieder nichts.
    »Sind alle auf Arbeit«, sagte Voss.
    »Oder im Leichenschauhaus Köpenick.« Wegener drückte links neben Fischer auf die Klingeln von Weber und A. Zauritz .
    Die Gegensprechanlage knisterte.
    »Hallo!«, rief Voss.
    »Hallo!«, rief eine Frauenstimme.
    »Volkspolizei! Wenn Sie bitte mal öffnen würden!«
    »Aber nur, wenn Sie hei-ter sind!«
    »Noch sind wir heiter.«
    »Hi-nei-ein«, sang die Frauenstimme. Ein schwacher Summton leierte aus dem Lautsprecher. Wegener drückte die Tür auf.
    Im Flur roch es nach Suppe. Schmutzig-gelber Rauputz. Der Boden bestand aus grauen PVC-Platten, deren Außenkanten sich nach oben bogen wie alte Käsescheiben. Auf den Metalltüren des Aufzugs bunte Lackstiftkommentare:
    Held der Arbeitslosigkeit!
    Das bin ich schon, Plastekopp
    Rammelow macht’s Rammeln froh
    Mich ooch!
    »Da können Sie nachher Ihren Vopo-Spruch dazuschreiben«, sagte Wegener, holte noch einmal tief Luft und folgte Voss in die Kabine.
    Der Aufzug knackte während der Fahrt. Manche Stockwerke leuchteten in einem verschrammten Feld als rote Zahl auf, andere wurden unterschlagen. Auf den hellgrünen Plastikwänden noch mehr Kritzeleien, einige hatte man mit Lösungsmittel zu grauen Flecken verschmiert.
    » Alle fahren Trabi, nur der Krenz, der fährt Benz «, las Voss vor. »Und da: Adolf konnte wenigstens Autobahnen bauen. «
    »Wo sie Recht haben, haben sie Recht.« Wegener holte sein Minsk aus der Manteltasche, stellte den Klingelton ab, steckte es wieder ein.
    »Hier!« Voss grapschte an die Fahrstuhl-Decke. » Alle Vopos fahren Phobos! Aber da drüben steht, alle fahren Trabi, bis auf Krenz. Die haben doch echt den Arsch auf, diese Heiopeis, die wissen selbst nicht, was bei ihnen schiefgelaufen ist.«
    Das Knacken wurde langsamer, die Kabine stoppte so ruckartig, dass Wegener sich an der Wand festhielt, im Display leuchtete eine 18 . Theatralischer Glockenklang. Die Metalltüren fuhren zur Seite und gaben den Blick auf einen schmuddeligen Flur und eine hagere Frau frei. Die Frau lehnte in ihrer offenen Wohnungstür und rauchte. Hinter ihr ein Saustall voller Gerümpel.
    »Hier ist Rauchverbot!«, rief die Hagere und grinste. Fettige, rötliche Fransenhaare hingen ihr ins Gesicht wie ein trauriger Teppich. Die Zähne erinnerten Wegener an den Bauzaun.
    »Für Sie offenbar nicht«, stellte Voss fest.
    »Gut erkannt. Ich warte ja auch, dass es irgendwann mal brennt, damit die süßen Jungs von der Feuerwehr vorbeikommen.«
    »Tut’s auch die Polizei?«
    »Klar, Schätzchen, immer rein hier.« Die Hagere lachte wie eine Rüttelplatte, hob ihren geblümten Morgenrock hoch und entblößte ein welkes Bein mit einem dunkelblauen Bluterguss am Oberschenkel.
    Voss machte den Mund auf und wieder zu.
    »Kennen Sie Herrn Fischer?«, fragte Wegener. »Ist einer Ihrer Nachbarn hier im 18 . Stock.«
    »Bien sûr«, sagte die Hagere, »Genosse Fischer ist sogar mein einziger Nachbar, alle anderen sind nämlich weg, to-tal weg. Wollten nicht mehr neben so nem hübschen, jungen Ding wohnen, kann man sich gar nicht vorstellen, was, wie?«
    »Und Sie sin d …?«
    »Was immer du willst, alter Mann.«
    »Kennen Sie Herrn Fischer?«
    »Kein Stück, ist ja nie hier. Hab ihn überhaupt nur paar Mal gesehen. Neulich war ich bei ihm drin, um mir n Pfund Butter zu leihen, wollt ihr wissen, wofür?«
    »So wie es aussieht, für Ihre Haare«, sagte Voss.
    »Da hab ich doch gar keine mehr«, flüsterte die Hagere und verzog ihr eingefallenes Gesicht zu einem ironischen Bedauern.
    »Wir können Sie auch mit zum Präsidium nehmen!« Das Ross wurde langsam wild.
    »Glaub mir, du willst mich nicht auf deinem Präsidium, das kann ich dir versprechen, da willst du mich nicht, überall willst du mich, aber nicht auf deinem Scheißpräsidium!«
    Wegener zog das Foto aus der Innentasche, machte drei
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