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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis
Autoren: Daniel G. Keohane
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Anhaltspunkt gehabt hatten, war jener Tag zu Marys Geburtstag geworden.
    Seyha verbrachte immer mit jedem Kind an dessen ›besonderen Tag‹ Zeit alleine. Diese seltene Zweisamkeit war eines von zwei Geschenken seiner Frau für die Kinder. Das andere war, was immer sie im Verlauf des Jahres kaufen oder anfertigen konnte.
    Bill beobachtete ›Mama Seyha‹ und die kleine Mary mit einer Mischung aus Liebe und Schmerz. Selbst nach all den Jahren hatte Seyha nie ihr Zögern überwunden, eigene Kinder in die Welt zu setzen – eine Welt, die seine Frau für immer und ewig als dunklen, gefährlichen Ort betrachten würde.
    Ihre lähmende Angst vor Kindern hatte sich erst an dem Tag gelegt, als sie ihr – nicht zuvor mit Bill besprochenes – Vorhaben bekannt gegeben hatte, den Schwestern des Mitgefühls als Laienmitarbeiterin beizutreten. Das war vor zehn Jahren gewesen. Die drei Jahre davor hatten sich als die schlimmsten in Bills Leben erwiesen. Seine ursprüngliche Wut war in den ersten Monaten so unersättlich gewesen, dass ihn Sorge um seinen eigenen Verstand und jenen Seyhas beschlichen hatte. Eine Weile hatten sie sich damals auch getrennt. Bill gab dabei so viel Geld für Hotelrechnungen aus, dass er bisweilen mit dem Gedanken spielte, eine Wohnung zu mieten, doch das hatte sich für ihn immer zu dauerhaft angefühlt.
    Sich scheiden zu lassen, glich stets nur einem Jucken in seinem Hinterkopf, das sich in Momenten außergewöhnlicher Niedergeschlagenheit in den Vordergrund drängte. Eine Chance für sie beide würde bestehen, solange Bill Gott in seine Entscheidungen und Seyha in seine Gebete einbezöge. Mit dieser Entschlossenheit hatte Joyce Lindu eine Menge zu tun gehabt.
    Sie war an jenem berüchtigten Tag der Haussegnung, an dem Bill die Pillen und damit alle Geheimnisse Seyhas entdeckt hatte, zu einer unverhofften Zeugin geworden, doch die Geistliche besuchte sie auch danach häufig und sorgte dafür, dass sie weiter miteinander redeten. Allerdings kam sie nie ins Haus – selbst an kalten Tagen unterhielten sie sich ausschließlich auf der Veranda.
    Hin und wieder gelang es ihr, die beiden zu überzeugen, gemeinsam zum Pfarrhaus zu kommen. In vielerlei Hinsicht blieb sie eine persönliche Verkörperung von Bills Glauben, eines Glaubens, der sich manchmal wie das Einzige anfühlte, was ihn das Grauen jenes Tages ertragen ließ, eines Glaubens, der an jenem Tag und den darauf folgenden Wochen beinah zerstört worden wäre. Joyces Worte, ihre Anteilnahme und ihre Gegenwart, bis sie schließlich das Land verließ, boten stets einen Funken Hoffnung.
    Zumindest für ihn. In jenem ersten Jahr nach dem Hereinbrechen von so viel Dunkelheit in ihr Leben, hatte sich Seyha nach und nach dermaßen in sich selbst zurückgezogen, dass sogar Joyce den Versuch aufzugeben schien, sie zu erreichen.
    In der ersten Zeit hatte Seyha allerlei seltsame Dinge zu ihm gesagt. Einmal hatte sie sich bei ihm dafür entschuldigt, ihn geschlagen zu haben. Als Bill zu ihr meinte, das hätte sie nie getan, setzte sie dazu an, ihm zu widersprechen, dann jedoch hob sie langsam die Finger an den Mund. »Du erinnerst dich nicht«, hatte sie gemeint. Als er sie fragte, woran er sich erinnern sollte, gab sie ihm keine Erklärung, sondern verfiel in ihr übliches Schweigen. Bill ertappte sich dabei, zunehmend ungeduldiger auf solche Begebenheiten zu reagieren, und sich zu fragen, ob ihre Äußerungen Anzeichen für einen Nervenzusammenbruch sein mochten.
    Letztlich jedoch hatte sich Seyha auf ihre eigene Weise in den Griff bekommen. In späteren, weniger kryptischen Unterhaltungen bot sie ihm fallweise Erinnerungsbrocken an. Aus ihnen gelang es Bill, weitere Einzelheiten abzuleiten und die Lücken dazwischen zu schließen, als hätte er die Einzelheiten bereits gekannt und sie sich nur ins Gedächtnis zu rufen gebraucht. Vermutlich hatte sie bereits damals entschieden gehabt, was sie letztlich tun würde, und wollte ihm auf ihre Weise in Scheibchen die Gründe dafür erläutern.
    Eines Tages, kurz, nachdem Bill beschlossen hatte, zurück zu seiner Frau zu ziehen, kam er nach dem Besuch einer Baustelle in West-Boylston nach Hause. Seyha erwartete ihn mit zwei gepackten Koffern und einem Flugticket nach Phnom Penh in der Handtasche. Sie versuchte, ihm zu erklären, wie sie sich fühlte, dass dies die einzige Möglichkeit sei, ihr eigenes und ihr gemeinsames Leben in den Griff zu bekommen. Seyha hatte sich in ihrem neuen Heim nie richtig wohl
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