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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues
Autoren: Julia Gaebel
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sodass ihr gewaltiger
Busen auf die Teller von Dick und Pitty zu rutschen drohte:«Sag doch mal, Kleine, wer bist du?»
    Pitty war heiß, ihr Kopf war zum Zerplatzen.
    Sie sah sich um, saß inmitten dieser Menschen, die sich ankeiften, senkte langsam den Kopf auf eine Stelle der Tresenplatte, die nicht mit Fressalien zugestellt war, und kühlte ihre Stirn an dem schwingenden Holz. Sie hörte, sie atmete in seinem Takt.
    Die Musik des Holzes wurde leiser. Sie schloss sie aus. Pitty wiegte sich in ihrem eigenen Rhythmus und machte sich ihre eigene Melodie.
    «Ich bin Pitty. Pitty Pruitt.»Pitty sagte es mehr zu dem Holz als zu den anderen.
    Die Teller standen immer noch auf dem Tresen, sie waren immer noch vollkommen überladen, obwohl Pitty schon mächtig zugelangt hatte. Dick stand inmitten des Diners, spuckte Feuer und auch ein bisschen Spucke in McClures Richtung und bewegte sich langsam rückwärts zum Tresen, als müsste er sich eines Angriffes aus allen Richtungen erwehren.
    Er fasste hinter sich und wollte eigentlich seinen Barhocker ertasten, aber Pitty hatte ihre Hand zwischen Polster und Dick geschoben. Sie streichelte mit ihren Fingern Dicks Fingernägel, fuhr wieder über seinen Handrücken wie schon den Tag zuvor, und er war wie erstarrt, konzentriert auf jede ihrer Bewegungen, herausgesogen aus dem Diner, dem Tag und den Blicken. Er saß wieder mit ihr in seinem Boot. Nur zwei Hände, die sich berührten. Eine Hand, die ihn führte, die ihm seinen Platz zuwies, seinen Platz an ihrer Seite.

    Dick setzte und vergewisserte sich, dass Pitty nicht durch eine unvorsichtige Bewegung seinerseits auseinandergefallen und zu einer Pfütze geworden war. Aber sie saß felsenfest und schaute wieder unbeeindruckt in die Runde.
    Mit Schwung zog er sie auf ihre Beine, griff sich eine mächtige Fleischkeule, die auf seinem Teller lag, schob sie sich in den Hals und nuschelte durch seinen vollgestopften Mund, er hätte die Schnauze voll, patschte ein paar Scheine auf den Tisch, klemmte sich Pitty unter den Arm und stapfte aus dem Diner.
    Die Luft pfiff ihm in den Ohren, und er hörte für einen Moment nichts mehr außer einem tiefen Brummen. Auf der Straße ließ er Pitty los und biss noch mehr Fleisch vom Knochen.
    Es war noch lange nicht gut, aber es war schon besser, und sowieso ließen sich jedes Leid und jeder Zweifel mit vollem Magen besser verdauen als mit knurrendem.
    Vera hatte auch keine Lust mehr, den anderen Gästen beim Gaffen und Tuscheln zuzusehen, und fauchte einmal kräftig in die Runde. Nachdem die Blicke kurzfristig noch betretener wurden und das Tuscheln vollends versiegte und Vera noch einmal auf den Tresen hauen musste, kehrten langsam alle wieder zu ihren Gesprächen zurück. Sogar McClure ließ sich von Steve Lucas auf seinen Platz schieben.
     
    So war das in Rickville. Sie konnten sich alle wahnsinnig schnell aufregen, aber genauso schnell konnten sie sich auch wieder beruhigen. Es war wichtig, dass über
Sachen gesprochen wurde, und wenn es nur ein kurzer Schlagabtausch war. Aber es gab auch Sachen, über die gar nicht gesprochen wurde.
    Elliots Tod war so eine Sache.
    Man kommt einfacher durchs Leben, je dümmer man sich stellt, und die Rickviller konnten saudumm sein, wenn sie wollten. Aber in solchen Augenblicken wie dem, von dem ich erzählt habe, war klar, dass manch einer mehr wusste, als er zugab, egal, wie ahnungslos oder dämlich er tat. Ich spreche hier von ganz normalen Sachen, die wirklich passiert sind.
     
    Draußen krochen die Temperaturen auf den Knien durch Rickville, gleichgültige Windböen fegten den Schnee auf kleine Häufchen, nur um ihn gleich wieder umzusiedeln.
    Der Weg zu Tulipes Kaschemme führte direkt durch das kleine Waldstück, durch das jeder seine Schritte lenken musste, wollte er auch nur irgendwo hingehen. Niemand dachte groß darüber nach, aber man spürte Sommer, wenn man zu Tulipe ging. Selbst jetzt, als Schnee lag. Man hatte ein warmes Gefühl im Bauch, sobald man das Blätterdach über sich spürte, der Wind und die Sonnenstrahlen durch die Erinnerung gefiltert auf den Waldboden trafen und man den Staub, den die eigenen Füße aufwirbelten, im Licht über dem Gras und den Blumen fliegen sehen konnte. Wärme und Kälte in unmittelbarer Nähe, Licht und Schatten. Alte Kräfte machten hier, was sie wollten. Ob man nun an sie glaubte oder nicht - der Wald ließ es einen spüren,
dass die Natur um so vieles älter, weiser, jähzorniger, liebevoller war, als
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