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Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition)

Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition)

Titel: Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition)
Autoren: Laabs Kowalski
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mein eigenes Blut auf dem Gesicht meines Gegners, das ihm die Sicht nimmt, so dass er für einen Augenblick blind ist und ich Gelegenheit kriege, zur Besinnung zu kommen. Ich schlage zu, lege meine ganze Kraft in die Schläge. Abwehrend hält der Kerl die Arme vor das Gesicht, ich ramme ihm mein Knie in den Bauch, er sackt vornüber zusammen.
    Zack, an der Wand hinuntergerutscht. Mitleidslose Tritte prasseln auf ihn ein. Ich bin bei ihm, werfe mich gegen seinen Peiniger, treffe dessen Kinn mit der Faust. Ich helfe Zack vom Boden auf. Sein Gesicht nur noch eine blutige, breiige und formlose Masse. Ich hieve seinen Arm auf meine Schulter, wir taumeln zur Tür. Zacks Augen stieren mich an, scheinen nicht zu begreifen.
    „Durchhalten, Zack! Gleich sind wir draußen ...!”
    Die Tür geht auf. Vier weitere Skinheads drängen herein, grinsen. Etwas Kaltes, Metallisches blitzt in der Luft, trifft mich, ich verliere den Halt, stürze mit Zack auf den Boden. Das grelle, weiße Deckenlicht brennt, verätzt meine Augen, schießt an mir vorbei und verlischt.
     
    ****
     
    Auf der Anrichte, gleich neben der Wohnungstür, sah Paul die Postkarte liegen. Er ließ den Schultornister von seinem Rücken gleiten und zog die Luft durch die Nase. In der Wohnung roch es nach Kohl. Schwer drangen die Dünste aus der Küche zu ihm in den Flur. Paul nahm die Karte und drehte sie um. Er erblickte ein ausgetrocknetes Wüstengebiet, dasselbe Motiv, wie es dutzendfach die Postkarten schmückte, die ihm sein Vater aus Teheran schrieb. Zuvor hatte er andere Karten erhalten. Aus Brasilien, aus dem Jemen, aus Sierra Leone. Pauls Vater arbeitete als Polier für ein deutsches Bauunternehmen, das im Ausland Kraftwerke und Staudämme baute. Was genau sein Vater in Teheran machte, wusste er nicht, denn der Text auf den Karten war – wie die Motive – austauschbar und fast immer derselbe. „Lieber Paul, gestern zeigte das Thermometer über 40 Grad im Schatten an. Wir müssen mit dem Wasser sparen, nur die deutschen Arbeiter dürfen am Abend die Duschen benutzen. Ich hoffe, es geht Dir gut und Du hörst auf das, was Oma Dir sagt. Viele Grüße, Dein Vater.“
    Dein Vater! Pauls Erinnerung an den dunkelhaarigen Mann mit den hellblauen Augen war genauso ungenau wie sein Wissen über die Aufgaben, die sein Vater im Iran zu erledigen hatte. Er hatte ihn zuletzt vor drei Jahren gesehen, als sein Vater zu seinem fünften Geburtstag erschienen war, ein großes Paket in der Hand, das eine Spielzeug-Autorennbahn samt Wagen, Steilkurven und Trafo enthielt. Paul hatte nie mit ihr gespielt. Unberührt stand sie in seinem kleinen Zimmer unter dem Bett und verstaubte.
    „Paul, bist Du das?” Die Stimme seiner Großmutter, bei der er lebte, solange er zurückdenken konnte – eine große, derbe Frau mit breiten Handgelenken und dünnen Krähennesthaaren. „Komm, das Essen ist fertig”, rief sie ihm zu.
    Paul ging in die Küche, nahm auf dem alten, roten Sofa Platz und griff nach einem Comic-Heft, das auf der Sofalehne lag. Der Umschlag zeigte Spiderman im Kampf mit der Echse.
    „Hier”, sagte Oma, „ich hab’ ein besonders dickes Stück für dich aufbewahrt.”
    Sie reichte ihm einen Teller Kohl mit Schweinerippe. Heißhungrig machte sich Paul über seine Mahlzeit her, das Comic-Heft geöffnet vor sich auf dem Tisch.
    „Dein Vater hat geschrieben. Hast du die Karte gefunden?”, fragte sie ihn.
    Paul nickte.
    „Was schreibt er?”
    „Was er immer schreibt”, antwortete Paul. „Dass es heiß ist.”    
    Ein Güterzug rasselte vorbei und ließ das Haus erzittern. Der Zug brachte Eisenschrott von den Stahlwerken zum Verladen in den Kanalhafen, der unmittelbar hinter dem Haus begann und sich Richtung Westen labyrinthartig ausbreitete. Im Sommer konnte man ein Schiff, die Santa Monica , besteigen und an einer Hafenrundfahrt teilnehmen, die durch eintönige Kanallandschaften führte, vorbei an grauen Kaimauern, Verladekränen und rußgeschwärzten Lagerhäusern, die sich wie alterschwache Tiere auf die Erde duckten. Der Norden Dortmunds war schmutzig und düster. Zechen- und Stahlarbeiter vertranken ihren Lohn in den dunklen Kneipen ringsum, hielten in den Hinterhöfen verbotenerweise Kaninchen oder züchteten Tauben. Es roch nach Staub, Bohnerwachs und nach Desillusion. Männer mit Staublungen zogen an starken, filterlosen Zigaretten, husteten wie Ertrinkende, tranken, arbeiteten, starben. Frauen mit flüchtig frisierten Haaren kümmerten sich um Kinder
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