Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pinguine lieben nur einmal

Pinguine lieben nur einmal

Titel: Pinguine lieben nur einmal
Autoren: Kyra Groh
Vom Netzwerk:
anzueignen. Ich habe kein Problem damit, verlottert, ungeschminkt und ungeduscht Brötchen holen zu gehen, und ich erzähle auch immer, ohne rot anzulaufen, dass ich keine einzige Folge der Zeichentricksendung Avatar – Herr der Elemente verpasst habe.
    Wahrscheinlich hat mich diese Nachlässigkeit in Sachen Beschämtfühlen zu einem fahrlässig tollpatschigen Menschen gemacht.
    Ich sitze am Küchentisch und schäme mich so sehr, dass ich heulen muss. Zunächst war ich schockiert über mein Benehmen, dann stinksauer auf mich, und jetzt bin ich einfach nur traurig, dass ich so blöd bin.
    Cem krault mir den Kopf. Das ist zwar schön, macht die Sache aber im Moment nur unwesentlich besser.
    »Das konntest du nun wirklich nicht wissen. Ich hab’s zuerst auch nicht bemerkt.«
    »Aber ich… ich hab das gar nicht so gem-m-m-meint, als ich ge-ge-gesagt hab, dass ich sehen kann, was ich a-a-a-angerichtet habe«, schniefe ich und fühle mich noch sehr viel schlechter.
    »Ich weiß, Feli«, versucht Cem mich zu beruhigen, aber leider gibt es momentan keine einzige Möglichkeit, mich zu beruhigen. Ich bin schrecklich böse auf mich selbst.
    Es ist nicht in allererster Linie Peinlichkeit, sondern wirkliche Scham. Ich schäme mich, so taktlos zu sein. Warum habe ich den starren Blick nicht sofort richtig interpretiert? Ich war voll und ganz damit beschäftigt, mein attraktives Gegenüber anzustarren, weshalb ich gar nichtgemerkt habe, dass er mich wohl niemals ansehen würde.
    Ich weiß nicht recht, wie ich mir einen Blinden vorgestellt habe. Wenn ich ehrlich bin, habe ich noch nie einen blinden Menschen getroffen und habe das Stereotyp Ray Charles vor Augen. Außerdem einen weißen Gehstock, obwohl ich bezweifle, dass Gehstock das korrekte Wort dafür ist, und einen Blindenhund.
    Ich habe immer nur an die Accessoires eines Blinden gedacht. Niemals daran, wie ein Blinder an sich ist, wie er sich kleidet, wie er lebt.
    Meine Gedanken würden wahrscheinlich jeden blinden Menschen dazu bringen, mich abstoßend zu finden: Wie kann ein Blinder alleine wohnen? Wie kann ein Blinder ohne Hilfe putzen? Was geht einem Blinden durch den Kopf, wenn er einen anderen Menschen zum ersten Mal trifft?
    Ich habe gar keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderung, und wie die meisten Menschen habe ich keine Ahnung, wie ich mit etwas, das ich nicht kenne, umgehen soll.
    Ich weiß, dass ich mich entschuldigen muss– aber wie? Ich habe große Angst, etwas falsch zu machen. Was soll ich denn sagen? Dass ich mich schäme, weil ich wie eine neugierige Rotzgöre an seiner Tür gelauscht und dann auch noch eine riesige Sauerei in seiner Wohnung angerichtet habe? Dass ich das nicht so gemeint habe, wie er es verstanden hat? Dass es nicht meine Absicht war, ihn zu verärgern? Dass ich wirklich nicht bemerkt habe, dass er blind ist?
    Dann kommt mir ein saublöder Gedanke: Ich könnte ja einfach klingeln und so tun, als wäre ich gar nicht die, die in seine Wohnung gefallen ist und eine Riesensauerei veranstaltet hat.
    Ich rufe Sophie an, aber die weiß zunächst auch keinen Rat.
    »Du musst auf jeden Fall Entschuldigung sagen.«
    »Ich weiß«, sage ich kleinlaut.
    »Nimm Cem einfach mit. Der ist immerhin nicht ganz unschuldig.«
    »Ja. Gute Idee.«
    »Macht das doch mit Brot und Salz, das finde ich süß. Hast du noch das Maisbrotrezept, das ich dir mal gegeben habe? Back ihm das Brot selbst, dann freut er sich bestimmt.«
    »Na, ich weiß ja nicht.« Im Gegensatz zu Sophie bin ich kein Backspezialist. Außerdem hab ich keine Ahnung, wo das Rezept abgeblieben ist. Irgendwo in irgendeinem meiner Notizbücher.
    »Es war eine total bedrückende Situation«, gestehe ich dann, was mir seither auf der Seele liegt.
    »Feli, du bist in seine Wohnung gepoltert und hast Rührei hinterlassen. Natürlich war das keine besonders glückliche Situation.«
    »Ich meine, er hat irgendwie bedrückt ausgesehen.«
    »Vielleicht bildest du dir das ein, weil du ein schlechtes Gewissen hast.«
    Diese Aussage befriedigt mich nicht.
    »Bring das erst mal ins Reine. Ich kenn dich. Wenn du die Sache nicht klärst, geht sie dir wochenlang nicht aus dem Kopf.«
    Natürlich hat Sophie damit recht. Ihr fällt es deutlich leichter als mir, Pannensituationen objektiv zu betrachten. Ich versinke häufig in einem Berg an Selbstvorwürfen, was dazu führt, dass ich nicht mehr nach links und rechts blicken kann, geschweige denn einen Ausweg aus dieser Situation erkenne.
    ENTSCHULDIGUNG
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher