Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
Wettkampftag zu Ende. Vor dem Mittagessen im Hotelrestaurant ging Viktor im Supermarkt vorbei und kaufte frischen Adriafisch für den Pinguin. Er arrangierte für Mischa einen ›Tisch mit Meerblick‹ auf dem Balkon und begab sich nach unten ins Restaurant.
    Die Mannschaft saß schon am Tisch, hatte aber das [519] Essen nicht ohne Viktor begonnen. Die Jungs schienen auf einen Trinkspruch oder eine festliche Rede von ihm zu warten. So lobte er sie alle und wünschte ihnen morgen fünf Siege – ab dem nächsten Tag fanden die Kämpfe am Fließband statt, es waren fünf Mannschaftsdurchgänge angesetzt. Einen Extradank sprach er dem Mannschaftskapitän Ljoscha aus, den der ganz ernst nickend annahm.
    Um zwei Uhr mittags kam Mladen. Viktor hatte ihn schon erwartet. Mladen führte Viktor zu einer kleinen Balkankneipe, und hier mußte er ein zweites Mal zu Mittag essen. Allerdings schmeckte das Essen in der Kneipe erheblich besser als im Hotelrestaurant. Mladen hatte einen großen Teller Gegrilltes und einen ebenso großen Teller mit frischem Gemüse bestellt. Viktor kaute Hammelfleisch, aß frische Tomaten, die ersten in diesem Jahr, und kippte Rakija-Schnaps dazu. Mladen fragte ihn nach seinem Beruf, seinem bisherigen Leben aus. Viktor hatte keine Lust, besonders offen zu sein, und er erzählte, daß er vor seiner ›Sportkarriere‹ als Journalist für verschiedene Zeitungen gearbeitet habe. Es gelang ihm ein fließender Übergang zum allgemeinen Leben in der Ukraine, und Mladen schien nicht zu merken, daß das Thema sich verändert hatte. Er hörte Viktor aufmerksam und mit Interesse zu und fragte auch ein paarmal nach. Nach dem Essen legte er Bronikowskis Kreditkarte vor Viktor auf den Tisch.
    »Wir haben alles eingekauft«, sagte er ganz freundschaftlich. »Und die zehntausend haben wir auch genommen, also danke… Chvala ! Das ist ›danke‹ auf kroatisch.« Mladen lächelte.
    [520] Nach einem kleinen Bummel durch die Stadt zog es Viktor wieder ans Meer, er fand ein Café mit Terrasse und bestellte sich einen Kaffee mit Kognak. Bis zum Abend blieben noch ein paar Stunden.
    ›Vielleicht kommt sie heute wieder?‹ dachte er und erkannte auf einmal, daß er wirklich wünschte, Vesna käme wieder.
    Er erinnerte sich an alles, was er über sie dachte, als er ihr Foto im Internet gesehen hatte. Er erinnerte sich daran, wie er sie sich im echten Leben vorgestellt hatte. Es stimmte fast alles, nur nicht der gestrige Abend. Aber ihre seltsame Entschlossenheit und Kraft, mit der sie tat, was sie wollte, das alles gefiel ihm plötzlich. Der Dichter Nekrassow und die Verse, die er vor vielen Jahren in der Schule gelernt hatte, fielen ihm ein: ›Sie zügelt das Pferd im wilden Sprung und läuft in die brennende Hütte!‹ Das war über die russischen Frauen geschrieben worden, aber Viktor hatte nie in seinem Leben solche russischen oder ukrainischen Frauen kennengelernt. Es schien eher Nekrassows Traum von der Frau zu sein, die ihn beschützte, von der Frau als Heimat, als Mutter, die ihre Kinder mit der Waffe in der Hand verteidigt. Und auf einmal paßten diese Verse vollkommen auf eine junge, schöne, blonde Frau: Vesna, die Kroatin.
    Seine romantischen Betrachtungen wurden von einer elektronischen Melodie unterbrochen.
    »Hallo!« ertönte die bekannte Stimme.
    »Schönen guten Tag, Sergej Pawlowitsch.«
    »Na, wie geht’s? Liegt ihr in der Sonne?«
    »Heute hatten wir den ersten Sieg, über die Rumänen!« berichtete Viktor dem Chef.
    [521] »Prima! Weiter so! Sag den Jungs, wenn sie den ersten Platz machen, erhöhe ich das Gehalt und zahle jedem eine Prämie von tausend Grünen. Klar?«
    »Klar.«
    »Morgen rufe ich wieder an. Bis dann!«
    Viktor legte das Handy auf den Tisch und kehrte zu seinen süßen Betrachtungen zurück. Er trank den Kognak aus und bestellte noch einen.
    Die leise rauschenden Wellen der Adria bildeten einen angenehmen Hintergrund. Vor diesem Hintergrund spielte sich das normale Leben der kroatischen Stadt Split ab, vor diesem Hintergrund flanierten die einheimischen jungen Leute vorbei, vor diesem Hintergrund trank im benachbarten Café eine Gruppe älterer Männer Rakija und schaute, jeden Ball lauthals kommentierend, ein Fußballspiel im Fernsehen an. Dieser Hintergrund gefiel Viktor. Als wäre es eben dieser Hintergrund, der in seinem Leben fehlte.
    105
    Die Jacht ›Vesna‹ war innen viel größer, als man von außen, vom Ufer aus dachte.
    Drei geräumige Kabinen, ein Salon, eine Kombüse,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher