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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht
Autoren: Andrej Kurkow
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und stand da nur in einem weißen Frotteeslip, der ihre sonnengebräunte Haut betonte. Sie machte das Licht aus, schlüpfte zu Viktor unter die Decke und faßte ihn mit ihren warmen Händen an den Schultern. Viktor wurde ganz schwach und fühlte in ihren Händen die simple physische Kraft, die ihn vernichten, zerquetschen und mit ihm tun konnte, was sie wollte.
    [516] »Küß mich«, flüsterte Vesna.
    Viktor hielt wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht inne. Und spürte gleich, wie ihre starken Finger seinen Ellenbogen drückten. Sie zog Viktor selbst an sich, bis seine Lippen ihre Lippen berührten.
    Schon ermattet, entkräftet, hilflos vor süßer Erschöpfung legte er sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Mit dem linken Ohr horchte er auf Vesnas Atmen.
    »Aber denk nicht, daß ich dich mag!« flüsterte sie plötzlich. »Was immer man von meinem Vater sagt, er hat mich anständig erzogen, und ich kann nicht lügen!«
    Viktor drehte sich auf die Seite und sah sie an.
    »Warum dann das alles?«
    »Das?« fragte Vesna erstaunt zurück. »Ist alles für dich, damit du am Leben bleibst…«
    Sie stand auf, zog sich schnell an und ging ohne ein weiteres Wort hinaus.
    104
    Alle Wände der zwei Schritte vom Hotel entfernten großen Schulsporthalle hingen voller Reklameplakate und Transparente der Sponsoren. Es gab eine Menge Sponsoren, aber Viktor sagten die Namen und Logos dieser Firmen nichts. Es waren alles kleine, lokale Unternehmen, immerhin waren auch zwei kroatische Banken darunter.
    Unter den Plakaten und Transparenten waren drei Reihen Stühle an der Wand entlang aufgestellt, auf denen tatsächlich Zuschauer oder Freunde von Teilnehmern saßen, [517] so daß sich außer den zwei Mannschaften im Saal an die hundert Menschen befanden. Die sechs quadratischen, massiven Tischchen fürs Armdrücken standen in einer Linie. Am einen Ende dieser Linie prangte in einem eisernen kreuzförmigen Ständer die Staatsflagge Rumäniens, am anderen Ende in einem gleichen Ständer die Flagge der Ukraine.
    Die Sportler warteten auf das Kommando, das der unaussprechbare holländische Oberschiedsrichter mit einem Händeklatschen gab. Die in Kampfposition bereiten Arme spannten sich sofort an. Die Anspannung ergriff den ganzen Saal, und die Zuschauer beobachteten das Geschehen an den Tischchen mit zusammengekniffenen Augen. Der Schiedsrichter lief mit großen Schritten auf und ab und versuchte, alle sechs Zweikämpfe gleichzeitig im Blick zu behalten. Der Rumäne am eingangsfernsten Tisch hatte schon den Arm des ukrainischen Sportlers umgebogen, aber der spannte sich mit dem ganzen Körper an, glich die Lage aus und versuchte jetzt, den Rumänen unter Druck zu setzen.
    ›Eigentlich ist es aber doch nicht ganz gerecht‹, dachte Viktor völlig gebannt von dem Duell. ›Die Gesunden haben mehr Körpermasse, und sie können sich am Boden abstützen. Wie stützt man sich mit nicht mehr vorhandenen Beinen ab?‹
    Aber wie um Viktors Zweifel auszuräumen, drückte der weißblonde ›Afghane‹ die Hand des Rumänen herunter, bis sie, noch immer angespannt, mit dem Rücken auf der Tischplatte lag. Der Schiedsrichter lief herbei, hob den Arm und rief etwas. Die dem Tisch am nächsten sitzenden [518] Zuschauer klatschten. Viktor erhob sich. Er strahlte übers ganze Gesicht. Er freute sich wirklich, und auf der Suche nach jemandem, mit dem er seine Freude teilen konnte, fiel sein Blick auf Issajew mit dem Fotoapparat. Als er an ihm vorbeisah, erblickte er am anderen Ende der Sporthalle Mladen, der ebenfalls die Wettkämpfe verfolgte und gleichzeitig mit einem jungen Kerl im Jeansanzug redete.
    ›Was macht er hier?‹ wunderte sich Viktor. Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht.
    Aber nicht für lange. Fünfzehn Minuten später stand fest, daß die Ukraine, und das hieß: seine Jungs, den ersten Mannschaftswettkampf gewonnen hatten – 5 : 1! Es wurde eine halbstündige Pause ausgerufen, und sofort tauschten zwei junge Männer in Trainingsanzügen die Flaggen in den Ständern aus. Als nächste sollten Polen und Holländer aufeinandertreffen.
    ›Die Holländer gewinnen wohl‹, entschied Viktor aus irgendeinem Grund.
    Tatsächlich gewannen die Polen. Und Viktor freute sich für sie wie für seine eigene Mannschaft. Das Sportfieber hatte ihn plötzlich ergriffen, und er tauchte ganz ein in die ihm vorher völlig fremde Welt des Sports und Mannschaftsgeistes mit ihren eigenen Regeln und Gesetzen.
    Um Punkt dreizehn Uhr war der erste
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