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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht
Autoren: Andrej Kurkow
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Aufzüge, eine Toilette im Flur mit extrabreiter Tür. Viktor und den Sonderkorrespondenten Issajew schickte man hinauf in den dreizehnten Stock. Er und der Korrespondent hatten bisher nur ein, zwei Phrasen gewechselt. Für Viktor war Issajew Igor Lwowitschs verlängerter Arm, der sich von Kiew nach Split ausstreckte, und deshalb errichtete er sofort zwischen ihm und sich eine feste, für die anderen unsichtbare ›Berliner Mauer‹. Allen übrigen, also den Jungs aus der Mannschaft, vertraute er völlig. Erstens wußten sie, bis auf Ljoscha, nichts von seinen Plänen, zweitens wußten sie dafür, daß sie nur dank ihm, Viktor, zu Sportlern mit Gehalt, Bekleidungssponsor und ihrem ersten Flug ins Ausland geworden waren.
    Bevor er Mladen anrief, beschloß Viktor, ein Bad zu nehmen.
    Ins Hotelzimmer schien die Sonne, in Split war es viel wärmer als in Kiew. Hier war im März wahrhaftig schon Frühling.
    Viktor horchte auf das Rauschen des einlaufenden [507] Badewassers, trat auf den Balkon und holte tief Luft angesichts der ganzen Schönheit dort draußen. Sein Zimmer ging aufs Meer hinaus. Unter ihm lagen herrliche Jachten an langen Piers, und weiter rechts hatte ein schneeweißer Dampfer festgemacht.
    Viktor betrachtete die Jachten. Dann zog er den Ausdruck von Mladens Internetanzeige heraus, in der sie zu dritt mit dem schönen blonden Mädchen vor ihrer Jacht standen. Vielleicht konnte er das Boot dort unten erkennen. Aber er war doch zu weit weg, und auf dem Foto war auch nur ein Teil des Bootes zu sehen, ohne besondere Merkmale.
    Er legte das Blatt neben das Telefon und hörte ein Plätschern. Er warf einen Blick in die Wanne – drinnen stand Mischa-Pinguin bis zur ›Taille‹ im Wasser und planschte mit den Stummelflügeln.
    »Was machst du denn«, wunderte sich Viktor. »Du wirst in dem Wasser ja gekocht!«
    Schnell drehte er das heiße Wasser ab und ließ nur kaltes ein. Und beschloß, dem Pinguin das Recht auf die Wanne abzutreten. Er selbst kehrte ins Zimmer zurück und ging zum Telefon.
    Er wählte Mladens Nummer.
    »Wer spricht?« fragte eine strenge Männerstimme nach.
    »Viktor Solotarew aus Kiew«, wiederholte Viktor. »Wir sind verabredet… Auf der Jacht in die Antarktis…«
    »Ah!« Die Stimme wurde weicher. »Sehr erfreut, dobre doschli , herzlich willkommen! Wo sind Sie jetzt?«
    Viktor erklärte, wo er sich befand.
    »Kommen Sie in zehn Minuten runter auf die Straße, ich [508] fahre zu Ihnen«, sagte Mladen auf russisch mit deutlichem Balkanakzent. »Ein dunkelblauer alter Mercedes. Nehmen Sie Geld mit, zum Vorräte kaufen…«
    In den verbliebenen zehn Minuten fuhr Viktor in Ljoschas Zimmer hinunter. Er zog den Goldbarren aus dessen Reisetasche und kehrte in seine dreizehnte Etage zurück. Als er den Klumpen in seine Reisetasche legte, schepperte dort etwas. Erstaunt zog Viktor den Winnie-Pu-Becher heraus. Lange starrte er ihn stumm an, als wäre dieses Wiederauftauchen ein schlechter Scherz. Dann nahm er das Handy und wählte seine Nummer zu Hause.
    »Hallo!« erklang Sonjas helles Stimmchen.
    »Grüß dich! Hast du mir den Becher in die Tasche gesteckt?«
    »Das ist ein Geschenk von mir, du hast ihn mir doch geschenkt, und jetzt habe ich ihn dir zurückgeschenkt! Ich weiß ja, wie gern du ihn magst!«
    Viktor lächelte, und seine Anspannung verschwand.
    »Ja, danke schön«, sagte er mild.
    »Wie geht es Mischa?« fragte Sonja. »War ihm nicht schlecht?«
    »Schlecht? Wo? Im Flugzeug?«
    »Ja! Tante Nina hat gesagt, im Flugzeug wird es allen schlecht…«
    »Sag Tante Nina, daß allen schlecht war außer mir, Mischa und Ljoscha.«
    »Ja? Wirklich?« rief Sonja begeistert.
    »Ja, wirklich!« Viktor hätte fast glücklich in den Hörer gelacht. »Also, ich muß jetzt gehen! Ich rufe dich wieder an!«
    [509] »Gib Mischa einen Kuß von mir!« bat Sonja zum Abschied.
    Bevor er aus dem Zimmer lief, schaute Viktor noch mal ins Bad. Auf dem Kachelboden glänzte das herausgespritzte Wasser. Mischa stand in der Wanne, schaufelte träge kleine Wellen und sah ihnen hinterher.
    Viktor beugte sich vor und küßte den erstaunten Pinguin auf die Backe.
    »Das ist von Sonja!« beantwortete er den fragenden Blick aus den schwarzen Äuglein. »So, ich bin bald zurück! Das Handtuch hängt dort, am Haken!« Er wies auf das lange, fast bis zum Boden hängende Frotteetuch.
    102
    Der dunkelblaue Mercedes war wirklich alt, ein Modell aus den siebziger Jahren. Dafür schien Mladen, ungeachtet seiner
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