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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine
Autoren: Marie Hermanson
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ihn einmal gesehen hat, wundert sich nicht im geringsten über diesen Namen. Im reifen Stadium ähnelt er nämlich peinlicherweise einem erigierten männlichen Geschlechtsorgan, das unverschämt aus der Erde herausschaut. Als ob da ein Mann begraben wäre, tot und leichenblaß, mit einem Ständer, der nicht aufgeben will.
    Ein Bild, das an einen weiteren Namen des Pilzes erinnert: Leichenpilz (das bezieht sich auf seinen widerlichen Aasgeruch).
    Er wird auch Hexenei genannt, weil er in einem frühen Stadium wie ein schleimiges, weißes Ei aussieht.
    Überreif bekommt der Pilz ein komisches Aussehen: schlaff, halb impotent. Einige, die wir sahen, waren in diesem traurig-komischen Stadium.
    Die Frauen wurden rot und kicherten.
    Ich mußte an Sigmund Freud denken. Es ist schwierig, beim Anblick einer voll entwickelten Stinkmorchel nicht an Freud zu denken.
    Freud war ein leidenschaftlicher Pilzsammler. In einem meiner Magazine habe ich gelesen, daß er seine sechs Kinder zu Pilzausflügen in die österreichischen Berge mitnahm und daß diese Ausflüge militärischen Übungen glichen. Die Kinder sollten sich an die Pilze anschleichen und sie überfallen. (Das militärische Vorgehen interessierte mich natürlich sehr -Vergleiche mit meinem Vater waren nicht zu vermeiden.)
    Sigmund Freud spornte seine Kinder an und lobte in einer Art Wettbewerb den besten Pilzjäger aus. Sieger war immer Papa Freud.
    Einer der Söhne hat darüber geschrieben, und seine Erinnerung hat sich in mein Bewußtsein eingegraben und mit solcher Klarheit und Schärfe bewahrt, als sei sie meine eigene:
    Freud trug bei diesen Ausflügen einen grünen alpenländischen Jägerhut. Wenn er einen besonders reizvollen Pilz entdeckte, lief er hin, stülpte seinen Hut über ihn und nahm ihn gewissermaßen gefangen.
    Dann griff er in die Westentasche, holte eine silberne Trillerpfeife heraus und rief mit einem langen Signal seine Truppe herbei. Wenn die Kinder alle da waren, stellten sie sich brav im Kreis um den Vater, Papa Freud lüftete langsam den Hut und ließ sie die Beute begutachten und bewundern.
    Mein Vater hatte keine Trillerpfeife. Und doch war mir manchmal, als hörte ich das schrille, auffordernde Signal, das uns anzog und das Kichern der Frauen in Verehrung, ja beinahe Angst verwandelte.
    Hinterher habe ich darüber nachgedacht, ob diese Kolonie von Stinkmorcheln ein Omen war. Nein, es kann kein Zufall gewesen sein, daß wir sie ausgerechnet dort und in diesem Moment fanden.
    Der Phalluspilz. Der Hexenpilz. Der Leichenpilz.

3
    »Wie findest du sie?« fragte ich Jasmine. Sie saß in einer Fensternische vor einem Samtvorhang und drückte verschämt das Blatt einer Topfpflanze an ihren nackten Bauch.
    »Ich finde sie blöd«, sagte Jasmine.
    »Aber sie ist doch schön«, beharrte ich.
    Jasmine schwieg und lutschte traurig an dem kleinen Goldherz, das sie um den Hals trug.
    »Bin ich denn nicht schön?« fragte sie schließlich.
    »Doch, du bist schön, Jasmine.«
    »Und ich bin jünger als sie, nicht wahr? Und ich scharwenzle nicht so um deinen Vater herum wie sie.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Wirst du mich jetzt vergessen?«
    »Vielleicht«, sagte ich. »Ich weiß nicht. Vielleicht vergesse ich dich.«
    Jasmine war ein hübsches Mädchen. Sie hatte sich nie für meinen Vater interessiert und war erheblich jünger als Madeleine.
    Aber Madeleine hatte unbestreitbare Vorzüge gegenüber Jasmine: ihre Haut war weich und siebenunddreißig Grad warm, sie besaß einen Duft, Atem und Gegenwart. Sie war, kurz gesagt, lebendig.
    Jasmine hingegen war eine zweidimensionale, achtzehnjährige Schönheit, vorsichtig aus den Heftklammern eines Männermagazins befreit und an der Wand über meinem Bett befestigt.
    Sie war die Nachfolgerin von Lena, meiner bisherigen Frau, die älter war als Jasmine, vielleicht sechsundzwanzig, siebenundzwanzig. Lena saß rittlings auf einem Stuhl, trug einen Cowboyhut, Perlenkette und hochhackige weiße Stiefel, ihre Brüste ruhten auf dem Stuhlrücken wie gestrandete Tümmler. Lena war ganze drei Jahre meine Frau gewesen, eine lange Zeit im Leben eines jungen Mannes, und ich weiß nicht, ob es an mir lag oder am Sonnenlicht, aber irgendwie wurde sie blasser und bekam eine grünliche, meerjungfrauenähnliche Hautfarbe, und meine Lust ließ nach.
    Eines Tages stand ich am Briefkasten, blätterte in der neuen Ausgabe des Magazins und stieß auf Jasmine. Jasmine mit den kleinen spitzen Brüsten und Haaren wie ein zerzauster Engel.
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