Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine
Autoren: Marie Hermanson
Vom Netzwerk:
natürlich nichts dergleichen. Das war nicht nötig. Es genügte, den giftigen Pilz zu haben und die anderen wissen zu lassen, daß man ihn hat.
    Vater erzählte, wie er wochenlang den schlimmsten Quälgeist der Klasse in Schach hielt, indem er eines Tages einen Knollenblätterpilz mit in die Schule brachte. In der Pause zeigte er allen Interessierten den schneeweißen Pilz und beschrieb detailliert den schmerzvollen Tod, den er hervorrufen konnte. Er sagte auch, daß er überhaupt nicht schlecht schmeckte, sehr gut sogar, nach Aussage derjenigen, die nach dem Verzehr noch sprechen konnten, ehe sie unter Krämpfen mit Nierenversagen zusammenbrachen. Und wie leicht, hatte er scherzhaft gesagt, könnte man die weißen mürben Lamellen zwischen Brot und Belag eines Pausenbrots schmuggeln?
    Viele seiner Mitschüler hatten herzlich gelacht, der Quälgeist jedoch nicht. Der verstand sofort die gegen ihn gerichtete Drohung und inspizierte regelmäßig seine Butterbrote. Vater hatte eine satanische Freude an dem Kampf zwischen Angst und Hunger, der sich in seinem Gesicht widerspiegelte, bevor er zitternd das Butterbrot zum Mund führte und vorsichtig hineinbiß.
    Nachdem Vater die Volksschule beendet hatte, begab er sich hinaus ins Leben. Er nahm jede Arbeit an, die sich ihm bot: sortierte Post, harkte Friedhöfe und arbeitete in der Wäscherei eines Krankenhauses. Er blieb nirgendwo lange, er wollte sich nicht verwurzeln. Er wohnte in billigen Zimmern zur Untermiete. Wohnung und Arbeit bedeuteten ihm nichts. Seine Welt waren die Pilze. Ein Lehrer, der von seinen mykologischen Kenntnissen beeindruckt war, schlug ihm vor, nach der Schule an die Universität zu gehen. Aber Vater war kein Akademiker.
    Für ihn waren Pilze mehr als eine Wissenschaft, sie waren sinnliches, physisches Erleben. Spiritualität. Eine Kunst. Eine Kultur. Eine Umgangsform. (Und nicht zuletzt: eine vortreffliche Aufreiß-Möglichkeit.)
    Obwohl Vater Autodidakt war, machte er sich allmählich einen Namen in mykologischen Kreisen. Man redete über ihn, kritisierte ihn, aber immer mit Respekt.
    Als Vortragsredner war er beinahe erschreckend populär. Er reiste durchs ganze Land und sprach vor vollen Häusern.
    Wovon handelten seine Vorträge? Warum war er so beliebt?
    Die spirituellen, geheimnisvollen Aspekte waren natürlich anziehend, aber Vater war kein Verkünder, kein Erweckungsprediger. Wenn er von dem sprach, was er die »Seele des Pilzes« nannte, dann tat er es leise und vieldeutig und ohne große Gebärden. Er war nicht darauf aus, jemanden zu überzeugen. Er schien zu seinem eigenen Vergnügen zu sprechen, immer war er charmant und geistreich, ob er nun in einer vollbesetzten Aula sprach oder mit einem Pilzsammler, den er zufällig im Wald traf.
    Er begann Kurse und Exkursionen abzuhalten, die von Anfang an vor allem von Frauen besucht wurden. Wie die Mädchen aus der Volksschule wurden sie von der dunklen Energie verzaubert, die er ausstrahlte, denn in seinem Element, dem Wald, war er unwiderstehlich.
    Mit den Pilzen waren die Frauen in sein Leben getreten. Pilze und Frauen: Launisch und schwer zähmbar tauchten sie um ihn herum auf. Exemplare einer Art, nicht so sehr Individuen. Die Variationen waren groß: Schlank. Gedrungen. Festes Fleisch. Weiches Fleisch. Wohlschmeckend. Mild. Scharf. Sie knospen, schwellen, schrumpfen.
    Eine seiner Teilnehmerinnen schwoll besonders stark. In seinem Herbstkurs war sie ein nettes kleines Exemplar gewesen, aber als sie im nächsten Frühjahr wieder auftauchte, war sie so dick, daß er sie zunächst nicht erkannte. Während er ihren Korb inspizierte und jeden Pilz untersuchte, vertraute sie sich ihm flüsternd an: Sie war schwanger. Sehr schwanger. Die Geburt war für Mittsommer berechnet.
    Ich habe vielleicht den Eindruck vermittelt, daß Vater in seinen Beziehungen zu Frauen leichtsinnig war. Ein verantwortungsloser Schlamper, der alles tun würde, um sich aus der nun entstandenen Situation zu befreien. Nichts könnte falscher sein. Vater war ein Pflichtmensch, und sein Verhältnis zum anderen Geschlecht war immer seriös und respektvoll, wenn auch nicht monogam.
    Selbstverständlich fügte er sich dem Schicksal, das ihm nun vorgegeben war, und zum großen Erstaunen seiner Kursteilnehmer fiel er im Moos auf die Knie und hielt um ihre Hand an.
    Er hatte ihren Namen vergessen, er hatte vergessen, daß er mit ihr geschlafen hatte, aber sie trug sein Kind und würde seine Frau werden.
    Sie heirateten schnell,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher