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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine
Autoren: Marie Hermanson
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bürgerlich und einfach. Ich wurde also im sicheren Hort der Ehe geboren. Vater hatte lange gespart, um sich ein eigenes kleines Haus im Wald kaufen zu können, und nun wollte er seinen Traum verwirklichen und mit seiner kleinen Familie dorthin ziehen.
    Aber Mutter weigerte sich. Sie wollte in das Fischerdorf ziehen, in dem sie geboren wurde.
    Das war der Beginn des Konflikts, der meine ganze Kindheit überschatten sollte. Meine Eltern blieben in der Stadt wohnen, in einer dunklen, engen Wohnung, was sie eine Weile lang ertrugen, weil sie überzeugt waren, daß der andere irgendwann nachgeben würde.
    »Ein Haus im Wald ist doch auf jeden Fall besser als das hier, oder?« sagte Vater.
    »Die Meeresluft ist doch wohl besser als der Abgasgestank? Das mußt du doch zugeben«, sagte Mutter, wenn sie zur Hauptverkehrszeit das Küchenfenster öffnete.
    Sechs Jahre währte der Machtkampf. Als Vater einsah, daß er Mutter nie auf seine Seite bekommen würde, konzentrierte er sich auf mich. Ich sollte nie mit Salzwasser in Berührung kommen. Wenn meine Mutter nach Hause zu ihren Eltern nach Bohuslän fuhr, verbot er ihr, mich mitzunehmen. Ich habe deshalb nie die Familie meiner Mutter kennengelernt.
    Einmal, als die Sommerhitze in der Stadt unerträglich wurde, gelang es ihr, mich in die Badeanstalt von Saltholmen mitzunehmen. Vater folgte uns bis zum Eingang der Badeanstalt und versuchte, mich mit Eis und einem Kinobesuch zu locken. Hoch erhobenen Hauptes verschwand meine Mutter mit mir im Nacktbad für Frauen und ließ Vater hinter dem hohen Holzzaun zurück.
    Ich habe dunkle, keineswegs unangenehme Erinnerungen an meine einzige Begegnung mit dem Meer: viele nackte Frauenkörper aneinandergedrängt, wie eine Kolonie Seehunde auf einem Felsen. Hohe Stege und eine steile Holztreppe, die in grünem, trübem Wasser verschwand.
    »Spürst du es?« fragte meine Mutter, als sie mich fest an den Händen nahm und in die Wogen tauchen ließ. »Es ist salzig. Magst du es?«
    Mochte ich es? Vater erzählte ich hinterher, wie eklig es war, wie das Salz in den Augen gebrannt hatte, wie ich mich verschluckt hatte, wie es meine Haut ausgetrocknet und alle Kraft aus mir gesaugt hatte. Aber in dem Moment, als ich mich bis zum Hals hineingleiten ließ und eine kleine Welle das kühle Wasser an meinen Mund spülte, da war ich eigentlich vor allem erstaunt. Die Freude des Neuen. Die Lust des Entdeckens.
    Ich keuchte und schaute Mutter an. Sie lächelte und verstand, was ich fühlte.
    Als wir nach Hause kamen, zwang Vater mich, das Salz vom Körper zu duschen. Am nächsten Tag nahm er mich mit in den Wald, um meine Lungen mit Tannenduft zu reinigen.
    Mutter und ich redeten nie darüber, daß ich einmal in der Badeanstalt für Frauen in Saltholmen gewesen war. Aber bevor wir nach Hause fuhren, fand ich eine kleine Muschel, die ich in die Tasche steckte. Ich hatte sie ein paar Tage auf meinem Nachttisch, dann war sie verschwunden.
    Dann ließen meine Eltern sich scheiden. Vater kaufte seine Kate im Wald und bekam die Anstellung beim Regiment. Mutter zog zu ihren Eltern nach Bohuslän.
    Ich durfte selbst entscheiden, bei wem ich wohnen wollte. Ich entschied mich für Vater.

5
    Nachdem ich mit meinem Vater in die Kate im Wald gezogen war, traf ich meine Mutter nur noch selten. Irgendwann hörte der Kontakt ganz auf. Die einzige Erinnerung an ihre Existenz waren die Weihnachtsund Geburtstagsgeschenke, die sie mir regelmäßig schickte. Es waren immer Dinge von guter Qualität und sorgfältig ausgewählt, aber es war nie ein Brief oder eine Karte dabei. Ich öffnete die Pakete immer in Gegenwart meines Vaters und verbarg, so gut es ging, meine Freude über die Geschenke, um Vater nicht zu verletzen.
    Als ich vierzehn wurde, bekam ich von meiner Mutter ein Briefmarkenalbum mit einem Einband aus Kalbsleder. Ich hatte das Geschenk kaum ausgepackt, da riß mein Vater es an sich und untersuchte genau, was ich bekommen hatte. Dann gab er es mir mit einem bissigen Kommentar zurück.
    »Kalbsleder. Nicht schlecht. Aber sie kann ja nicht wissen, daß du keine Briefmarken sammelst.«
    »Ein Kalbslederrücken auf dem Bücherregal sieht bestimmt gut aus«, sagte ich.
    Und ich hatte Briefmarken, die mir ein Klassenkamerad geschenkt hatte, als der seine Sammlung aufräumte. Das sagte ich Vater natürlich nicht, aber als ich in mein Zimmer kam, holte ich die Schachtel mit den Briefmarken hervor und steckte sie ins Album. Jetzt, wo ich allein war, konnte ich mir den
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