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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine
Autoren: Marie Hermanson
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Wehrpflichtigen ausgab.
    Da er freien Zugang zum Lager hatte, konnte er unbemerkt alles an sich nehmen, was er brauchte: wasserabweisende Hosen und Pullover, winddichte Jacken, Gummistiefel, Regenkleider, Mützen und Ohrenschützer – alles sehr nützlich im Wald.
    Seine Arbeit war nicht sehr anspruchsvoll. Wenn er die Post verteilt hatte, saß er in seiner Kammer und wartete. Wartete darauf, das Lager aufzuschließen, wenn etwas gebraucht wurde. Er nahm schmutzige Kleidung entgegen, gab neue aus und führte Buch über alles. Ich glaube, er hat diese Arbeit sehr bewußt gewählt. Sie paßte ihm ausgezeichnet: freier Zugang zu Ausrüstung gepaart mit einer Beschäftigung, die ihn nicht weiter anstrengte, so daß er seine Kräfte fürs Wochenende sparen konnte.
    Ich habe ihn ein paar Mal an seinem Arbeitsplatz besucht. In dieser fast ausschließlich männlich geprägten Umgebung kamen seine Talente nicht zu ihrem Recht, und ich hatte das Gefühl, daß er ein bißchen zu lässig und herablassend behandelt wurde.
    Ein Klassenkamerad, dessen Mutter als Köchin beim Regiment arbeitete, hatte mir berichtet, daß die Wehrpflichtigen meinen Vater den »Unterhosenklauer« nannten. Für mich war das der blanke Neid (was war eine einfache Köchin gegen meinen Vater?), aber als ich später meinen Wehrdienst bei einem Regiment im Norden ableistete – nicht sehr erfolgreich und vorzeitig beendet –, mußte ich selbst erfahren, wie rauh der Ton war und wie man sich über Mitarbeiter mit einfachen Tätigkeiten lustig machte.
    Aber mein Vater schien es mit Gleichmut zu nehmen. Er hatte das lächerliche Spiel des Karrierestrebens schon lange durchschaut, und die zurückhaltende Rolle, die er die Woche über spielte, schien ihm zu gefallen. Er saß in seiner fensterlosen Bude und plante sein Wochenende: die vorbereitende Tour am Samstag und die Exkursion mit den Teilnehmern am Sonntag. Sein richtiges Leben fand am Wochenende statt.
    Ausgenommen die Wintermonate, wenn es keine Pilze gab, verbrachte er die Wochenenden von morgens bis abends im Wald. Einmal, es war ein phantastisches Steinpilz-Jahr, ging er mit voller Ausrüstung – Zelt, Schlafsack, Tütensuppen, er hatte sogar einen Kocher herausgeschmuggelt – in den Wald und verbrachte dort mehrere Tage.
    Aber am wohlsten fühlte er sich, wenn er von einer Schar weiblicher Kursteilnehmer bewundert wurde.
    Ich erinnere mich gut an die Sonntage, wenn man schon früh am Morgen das Bellen von Utboms Hund hören konnte, an die Autos, die auf den Hof fuhren und an das Gemurmel vor unserem Häuschen.
    Vater schlenderte lässig in der Küche umher, blätterte in einem Pilzbuch und tat, als hätte er die Menschenansammlung da draußen nicht bemerkt. Aber seine Wangen hatten schon die frische Röte, die sie in der gesunden Waldluft bekamen, und seine braunen Augen leuchteten mit diesem speziellen Glanz, den so viele Frauen vergeblich zu beschreiben versuchten.
    Dann warf er einen gespielt überraschten Blick auf die Wanduhr, schlug das Buch zu und trat auf die Treppe hinaus. Ich hielt mich meist im Hintergrund. In meiner Windjacke und mit dem Pilzkorb am Arm stand ich in der herbstlichen Morgensonne und betrachtete die Kursteilnehmer: junge Mädchen mit festen Brüsten unter großen Wollpullovern, reifere Frauen mit breiten Hüften und zähe Tanten im Rentenalter. Ich war oft der einzige Mann in der Gruppe (außer Vater natürlich).
    Die Frauen waren aufgeregt und voller Erwartung. Einige waren richtig attraktiv.
     
    Als diese Geschichte ihren Anfang nahm, war ich gerade zweiundzwanzig geworden. Ich hatte mich in verschiedenen Berufen versucht, aber keiner schien so recht zu mir zu passen. Eine ordentliche Ausbildung hatte ich nicht, ich war nicht praktisch veranlagt und hatte bis dahin keine besondere Begabung für irgend etwas gezeigt. Ich war seit einiger Zeit arbeitslos und vertrödelte die Tage damit, vor dem Fernseher zu sitzen und in einem Männermagazin zu lesen, das ich abonniert hatte. Wenn Vater es nicht sah, blätterte ich in seinen Pilzbüchern. Mein Traum war es, wie er ein herausragender Pilzkenner zu werden, aber der Weg dorthin war lang, und ich glaubte nicht so recht an meine Berufung. Wenn ich sah, wie Vater auf der Treppe stand, im Zentrum weiblicher Aufmerksamkeit, schien ich sehr weit vom Ziel meiner Träume entfernt. Würde ich je dorthin kommen?
    »Carl von Linné haßte Pilze, habt ihr das gewußt?« rief Vater von der Treppe herunter. »Er bekam sie in seinem
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