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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine
Autoren: Marie Hermanson
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System nicht unter und bezeichnete sie als umherziehendes Pack. Schließlich ordnete er sie widerwillig im Tierreich ein. Unterabteilung Chaos.«
    Die Kursteilnehmer kicherten.
    Vater machte eine Pause und schaute die Frauen an, die plötzlich ernst wurden. Mit gesenkter, beinahe flüsternder Stimme richtete er eine Frage an sie:
    »Was ist eigentlich ein Pilz?«
    Und während die Teilnehmer noch über die Frage nachdachten, lief Vater schnell die Treppe herab und führte seine Schar mit einer militärischen Armbewegung in den dunklen Tannenwald.
    Ich ging ganz am Schluß. Ich grübelte über Vaters Frage. Ich hatte sie schon so oft gehört. Von der Treppe herab an eine große Schar von Verehrerinnen gerichtet. Aber auch gemurmelt während unserer einsamen Abende im Häuschen, wenn er einen frisch gepflückten Pilz in seiner erhobenen Hand betrachtete.
    Die immer wiederkehrende Frage: »Was ist ein Pilz?«
    Auf diese Frage schien es keine Antwort zu geben. Aber ich brauchte mich ja nur im Wald umzusehen, um zu begreifen, daß die Pilze bei den Frauen etwas auslösten. Wie sonst sollte man die berühmte Ausstrahlung meines Vaters erklären? Wie konnte ein einfacher Lagerarbeiter, klein von Wuchs, gedrungen, mit Stiernacken und abstehenden Ohren eine solche Macht über Frauen haben?
    Ich selbst war hochgewachsen und gut gebaut. Ich war jung, blond und stark. Ein richtiger Wikinger. Aber nie hatte eine Frau mich auch nur angeschaut. Es war, als trüge ich eine Tarnkappe. Vaters Gegenwart war so stark. Ein Gift, das meine eigene Existenz zerfraß.
    Warum fühlten die Frauen sich von ihm angezogen und nicht von mir, dachte ich bitter. Weil er so viel über Pilze wußte? Stand er in einer geheimnisvollen Verbindung mit den Pilzen?
    Über ihm lag ein gewisser Zauber, und wenn er da auf der Lichtung stand, grün angezogen, klein und untersetzt, einen Pilz betrachtend, dann glich er tatsächlich einem Zwerg aus dem Märchen. Wenn er sich über ein besonderes Exemplar begeisterte, wurde sein Gesicht rot bis über beide Ohren. Vater begann zu glühen. Eine geheimnisvolle Energie schien ihn aufzuladen.
    Ich dachte über die unterirdische Verbindung nach, die Pilze mit Bäumen eingehen können, das hatte Vater mir erzählt. Daß die Wurzelspitzen der Bäume sich vollständig mit den Myzelfäden der Pilze vereinigen und man nicht mehr ausmachen kann, ob das Gewebe vom Pilz oder vom Baum stammt. Und daß durch diese Verbindung ein Austausch von Nahrung und Energie stattfindet. »Ein ständiges Geben und Nehmen, das da im Verborgenen passiert«, wie Vater sich auszudrücken pflegte.
    Die Pilze koppeln sich an das Lebensnetz des Baums an und bekommen über dessen Zweige und Blätter Kontakt mit Regen, Wind und Sonne. Und der Baum schließt sich an das unterirdische Netz des Pilzes mit seinen weit verzweigten Myzelfäden an, die sich in Steine und Felsen bohren können. (Doch, wirklich: Steine und Felsen!)
    »Alles steht miteinander in Verbindung, unter unseren Füßen und über unseren Köpfen«, um noch einmal Vater zu zitieren.
    War auch er an dieses Energienetz angeschlossen? Bezog auch Vater seine Energie aus Erde, Luft und Stein? War das sein Geheimnis?

2
    Den Tag, an dem Madeleine in Vaters Pilzkurs auftauchte, werde ich wohl nie vergessen. Sie stand nicht bei den übrigen Bewunderern, die sich schon früh am Morgen murmelnd vor dem Häuschen versammelten. Sie kam sogar ein wenig zu spät.
    Vater stand auf der Treppe und beendete gerade seine Einführung, als er von Utboms Hund übertönt wurde. Kurz darauf raste ein offener Sportwagen auf unseren Hof, die Kursteilnehmer stoben auseinander wie eine aufgeschreckte Hühnerschar, und das Auto bremste kurz vor der Treppe. Am Steuer saß eine Frau. Sie trug einen Safarihut und einen Overall. Sie stieg nicht aus, sondern blieb bei laufendem Motor sitzen, warf einen skeptischen Blick auf die Gruppe, dann auf Vater, der immer noch auf der Treppe stand, als überlege sie, ob sie bleiben oder gleich wieder wegfahren solle.
    Dann schaute sie meinen Vater an und fragte:
    »Ist das der Pilzkurs von Holger Haglund?«
    Ihre Stimme war schmelzend zart, aber sehr bestimmt.
    Vater nickte kurz, und ihre Blicke trafen sich.
    Ich hatte viel von meinem Vater geerbt: seine abstehenden Ohren, seine Sehnsucht nach dem Wald, sein Interesse für Pilze, aber seine Augen hatte ich nicht geerbt.
    Vaters Augen waren klein und schnell. Braun wie ein Waldtümpel. Die Augen eines Tiers. Eines Wiesels oder
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