Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
dran – gleich fliege ich! ging es ihm durch den Sinn.
    Blitzschnell begann er die Hebel für den Start vorzubereiten, das heißt, sie der Reihe nach zu berühren und zu zählen: Eins, zwei, drei – wo ist der vierte? Der dort ... Ja ... und dann den Zeiger ... Das Pedal ... Nein, nicht das Pedal ... Die Griffe! Erst den roten, dann den grünen, dann den für den Automaten ... So ... Oder kommt der grüne vor dem roten ...?
    Pilot Pirx auf AMU 27! Seine eigene laute Stimme, die ihm durch die Kopfhörer geradewegs ins Ohr drang, riß ihn aus dem Dilemma. Start nach Phonie im Moment Null!
    Er hätte beinahe »Pilot Boerst« gesagt, so sehr hatten sich ihm die Worte des anderen eingeprägt. »Idiot!« brüllte er sich selbst in der Stille an, die nun herrschte. Dann bellte der Automat: Sechzehn – fünfzehn – vierzehn ... Müssen eigentlich alle Automaten solche Feldwebelstimmen haben? fragte sich Pirx. Er schwitzte. Krampfhaft versuchte er, sich an etwas Wichtiges zu erinnern. Er wußte, daß dieses Etwas ausschlaggebend war, daß es über Leben und Tod entschied, aber es wollte ihm nicht einfallen.
    ... sechs – fünf – vier ...
    Mit feuchten Fingern umklammerte er den Startgriff. Gut, daß er so rauh ist, dachte er. Ob alle so schwitzen? Wahrscheinlich ...
    Null! schnarrte es im Hörer.
    Seine Hand zog den Hebel von selbst, ganz von selbst, sie zog ihn bis zur Mitte und hielt ihn fest. Brüllendes Getöse ... Ihm war, als lege sich ihm eine elastische Presse um Kopf und Brust. Der Booster! vermochte er gerade noch zu denken, dann wurde es dunkel um ihn. All das dauerte nur wenige Augenblicke. Als es vorbei war, lastete noch immer der unnachgiebige Druck auf seinem Körper. Auf den Bildschirmen, zumindest auf denen, die ihm gegenüber angebracht waren, sah er eine weiße, brodelnde Masse, die ihn an Milch erinnerte, an Milch, die aus einer Million Töpfen überkocht.
    Aha! sagte er sich. Jetzt stoße ich durch die Wolken ... Sein Gehirn arbeitete noch ein wenig träge, aber er war immerhin wieder imstande, ruhig und klar zu überlegen. Er kam sich mit der Zeit völlig unbeteiligt vor, ihm war, als sei er nur noch Zeuge dieser sonderbaren Szenerie. Komisch! dachte er. Da fläzt sich so ein Bursche im »Zahnarztstuhl« herum, rührt weder Hand noch Fuß, und dabei ... Die Wolken sind übrigens verschwunden, der Himmel ist blau ... Eigenartig, dieses Blau ... Wie mit Tusche gefälschtes Wäscheblau ... Sind das dort Sterne, oder sind es keine ...? Ja, Sterne ...
    Überall bewegten sich Zeiger – über ihm, vor ihm, neben ihm. Jeder bewegte sich anders, jeder zeigte etwas anderes an. Pirx mußte sie alle verfolgen, und er hatte nur zwei Augen. In den Hörern ertönten in regelmäßigen Abständen kurze, pfeifende Signale; seine linke Hand zog von selbst – wieder ganz von selbst – an der Schleuder des Boosters. Gleich darauf wurde es etwas erträglicher. Die Geschwindigkeit betrug sieben Komma eins pro Sekunde, die Höhe zweihundertein Kilometer, die Beschleunigung eins Komma neun. Die Startkurve, die er mit auf den Weg bekommen hatte, war zu Ende. Nun heißt es entspannen, dachte Pirx, denn bald wird es eine Menge Arbeit geben!
    Er machte es sich bequem, drückte auf die Lehne – dadurch hob sich die Stütze des Sessels – und erstarrte vor Schreck.
    Wo ist die Spicke?! durchfuhr es ihn.
    Die Spicke war wichtig, unsagbar wichtig, und er konnte sich nicht erinnern, wo er sie hingesteckt hatte. Er sah sich auf dem Fußboden um, als gäbe es nicht die Unmenge von Zeigern, die ihn von allen Seiten anblinzelten. Da! Die Spicke lag unter dem Sessel! Er bückte sich, aber die Gurte ließen begreiflicherweise nicht locker. Nun blieb ihm keine Zeit mehr, und mit dem Gefühl, auf der Spitze eines sehr hohen Turmes zu stehen und mit ihm in die Tiefe zu stürzen, schlug er das Navigationsbuch auf, das in der Tasche über dem Knie steckte, und zog die Aufgabe aus dem Umschlag. Zuerst begriff er gar nichts. Verflixt, wo ist die Umlaufbahn B 68? fragte er sich. Aha, die wird’s wohl sein ... Er kontrollierte das Trajektometer und begann langsam zu wenden. Donnerwetter, es klappt sogar! dachte er staunend.
    Als er die Ellipsenbahn erreicht hatte, präsentierte ihm der Kalkulator freundlich die Daten zur Korrektur. Pirx manövrierte, sprang aus der Umlaufbahn, bremste gar zu heftig, hatte zehn Sekunden lang minus 3 g, aber das machte ihm nichts aus. Physisch war er sehr widerstandsfähig. »Wäre dein Hirn so wie dein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher