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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx
Autoren: Stanislaw Lem
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verwechselte die Minuten und Sekunden der Zeit mit denen der Länge und Breite. Was kommt nun? fragte er sich, als er fertig war. Ihm war unerträglich warm in der Antischweißwäsche, die er unter der dicken Hülle der Kombination trug. Er wurde aufgefordert, den Wortlaut ein zweites Mal herzubeten. Er tat es, aber der Sinn wurde ihm nicht bewußt. Haben die mir aber eingeheizt! Das war das einzige, was er zu denken imstande war.
    In der linken Hand hielt er die Spickkladde, in der rechten das Navigationsbuch, das er dem Chef reichte. Das mündliche Wiederholen der Aufgabe war reine Schikane, denn man bekam sie ja ohnehin schriftlich – sogar der erste Kurs war darin vorgezeichnet. Der Chef steckte das Kuvert mit der Aufgabe in das kleine Täschchen unter dem Umschlag. Dann gab er ihm das Buch zurück und fragte: »Pilot Pirx, sind Sie bereit?«
    »Bin bereit!« antwortete Pirx. In diesem Augenblick hatte er nur noch einen Wunsch: im Steuerraum zu sitzen. Er sehnte sich danach, die Kombination aufknöpfen zu können, wenigstens am Hals.
    Der Chef trat einen Schritt zurück. »Ins Projektil!« rief er mit seiner herrlich metallischen Stimme, die wie ein Glockenschlag den dumpfen Lärm in der riesigen Halle übertönte.
    Pirx vollführte eine Kehrtwendung, ergriff das rote Fähnchen, stolperte über das Seil, fand im letzten Augenblick das Gleichgewicht wieder und tapste wie ein Golem über den schmalen Steg. Als er ihn halb überquert hatte, betrat Boerst – von hinten glich auch er einem Fußball – bereits seine Rakete.
    Pirx steckte die Beine hinein, klammerte sich an die massive Verschalung der Luke, rutschte die elastische Rinne hinunter, ohne die Füße auf die Sprossen zu stellen – Sprossen sind nur für sterbende Piloten da, pflegte Eselswiese zu dozieren –, und ging daran, die Klappe zu schließen. Sie hatten das an »Phantom«-Geräten und an einer Klappe trainiert, die aus einer richtigen Rakete stammte und mitten im Übungsraum befestigt war – hundertmal, tausendmal: linke Kurbel, rechte Kurbel, halb herum, Kontrolle der Abdichtungen, wieder eine halbe Drehung beider Kurbeln, Festdrücken, Dichtekontrolle unter Druck, Absicherung der Luke mit innerem Schutzdeckel, Vorschieben der Antimeteoritenschutzhülle, Verlassen des Einstiegschachts, Verschließen der Kabinentür, Andrücken, Kurbel, zweite Kurbel, Riegel – es konnte einem schlecht werden dabei.
    Pirx glaubte, daß Boerst schon lange in seiner Glaskugel säße, während er erst den Anschlagring der Kammer festschraubte. Plötzlich fiel ihm ein, daß sie ja ohnehin nicht zusammen starten würden, es wurden sechsminütige Abstände eingehalten, er brauchte sich also gar nicht zu beeilen. Dennoch war es besser, sich auf seinen Platz zu setzen und das Radiophon einzuschalten – dadurch könnte er wenigstens die Befehle hören, die Boerst erhielt. Es war interessant zu wissen, welche Aufgabe er wohl zu lösen hätte.
    Als Pirx die Außenklappe zudrückte, schaltete sich automatisch die Innenbeleuchtung ein. Er verriegelte alles, was es zu verriegeln gab, und stieg über die mit sehr rauhem, aber weichem Plastikstoff ausgelegten Stufen der kleinen Schräge zum Pilotensitz.
    Weiß der Teufel, weshalb diese kleinen Einpersonenraketen so eingerichtet sind, daß der Pilot in einer großen Glaskugel von drei Meter Durchmesser sitzen muß, dachte Pirx. Sie war zwar durchsichtig, aber natürlich nicht aus Glas, sondern aus einem elastischen, federnden Material, das sehr hartem, grobem Gummi ähnelte. Diese Kapsel mit dem zerlegbaren Pilotensitz in der Mitte war in einen kegelförmigen Raum eingepaßt, den eigentlichen Steuerraum. Der Pilot konnte sich in seinem Zahnarztstuhl, wie man ihn nannte, nach allen Seiten drehen und durch die Wände der Blase, in die er eingeschlossen war, alle Skalen, alle Zeiger und alle vorderen, hinteren und seitlichen Bildschirme sehen, dazu die Tafeln beider Rechenmaschinen und des Astrographen sowie das Allerheiligste – das Trajektometer. Dieses Gerät zeichnet mit einem dicken, stark leuchtenden Band auf der trüben, gewölbten Scheibe den Weg des Projektils und setzte ihn in Beziehung zu den Fixsternen in der Harelsbergerschen Projektion. Der Pilot mußte die Elemente ihrer Projektion auswendig kennen und imstande sein, sie in jeder Lage vom Apparat abzulesen, auch wenn er mit dem Kopf nach unten hing. Wenn er den Sitz eingenommen hatte, hielt er links und rechts die beiden Hauptgriffe des Reaktors und der
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