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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx
Autoren: Stanislaw Lem
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Tischnachbar gewesen, im Kosmodäsie-Unterricht. Er hatte ihm alle Atlanten mit Tusche beschmiert.
    »Du hast morgen deinen Versuchsflug«, sagte Boerst.
    »In Ordnung«, erwiderte Pirx phlegmatisch. So leicht ließ er sich nicht foppen.
    »Du glaubst es nicht? Lies!« Boerst klopfte mit dem Finger an die Scheibe des Aushanges.
    Pirx wollte weitergehen, aber sein Kopf schien sich von selbst zu drehen. Nur drei Namen waren auf der Liste, und ganz oben, tatsächlich, da stand es: Kadett Pirx. Unübersehbar!
    Einen Augenblick verschwamm alles um ihn herum. Dann hörte er wie aus der Ferne seine Stimme: »Na und? Ich hab doch gesagt: in Ordnung.«
    Er ging an ihnen vorüber und lenkte seine Schritte durch die kleine, von Blumenbeeten gesäumte Allee. In diesem Jahr wuchs dort eine Menge Vergißmeinnicht, man hatte sie sinnigerweise in Form einer landenden Rakete gepflanzt. Pirx sah nichts von alledem, weder die Blumenrabatten, die Stege und die Vergißmeinnicht noch den Chef, der eilig aus dem Seitenflügel des Instituts trat. Um ein Haar wäre Pirx im Portal mit ihm zusammengestoßen. Er salutierte.
    »Hallo, Pirx!« sagte Eselswiese. »Sie fliegen morgen. Ich wünsche Ihnen einen guten Start! Vielleicht haben Sie Glück, Kadett, und begegnen denen von den anderen Planeten!«
    Das Internat, hinter hohen Trauerweiden, lag am anderen Ende des Parks an einem Teich. Sein Seitenflügel, von Steinsäulen gestützt, ragte über dem Wasser auf. Irgend jemand hatte das Gerücht aufgebracht, daß die Säulen vom Mond stammten. Das war natürlich ein Hirngespinst, aber schon die ersten Schüler hatten voller Ehrfurcht ihre Initialen und Daten in den Stein geritzt. Auch Pirx’ Name stand dort irgendwo, er hatte ihn vor vier Jahren mit großem Eifer eingraviert.
    In seinem Zimmer – es war so klein, daß er es mit niemandem zu teilen brauchte – zögerte er ein wenig. Sollte er den Schrank öffnen oder nicht? Er wußte genau, wo die alte Hose lag. Man durfte eigentlich kein Zivilzeug haben, vielleicht hatte er sie gerade deshalb aufgehoben. Im Grunde hatte sie für ihn keinen Wert. Er kniff die Augen zu, kauerte vor dem Schrank nieder, steckte die Hand durch die offene Tür und befühlte die Tasche. Na bitte – er hatte es doch gewußt. Sie war leer.
     
    Pirx stand in der Kombination, die noch nicht aufgeblasen war, auf dem stählernen Brückenpodest dicht unter dem Hallendach und hielt sich mit der Armbeuge an der Leine fest, die als Geländer gespannt war. Er hatte keine Hand frei. In der einen hielt er das Navigationsbuch, in der anderen den Schmolch, eine Spickkladde, die ihm Smiga geliehen hatte. Es hieß, der ganze Lehrgang sei mit ihr geflogen. Niemand wußte zu sagen, wie sie immer wieder zurückkehrte, denn nach dem Versuchsflug verließ man das Institut und ging nach Norden, zur Basis, wo die Paukerei für das Schlußexamen begann. Wie dem auch sei – sie kam jedenfalls immer wieder zurück. Wer weiß, vielleicht wurde sie mit dem Fallschirm abgeworfen. Es war ja nur ein Scherz.
    Pirx stand auf dem federnden Brett über einem vierzig Meter tiefen Abgrund und verkürzte sich die Zeit, indem er überlegte, ob man ihn wohl »filzen« würde, was leider hin und wieder vorkam. Die Kadetten nahmen zu den Versuchflügen die merkwürdigsten Dinge mit, auch solche, die streng verboten waren: flache Schnapsfläschchen, Kautabak, Mädchenfotos – von Spickkladden ganz zu schweigen. Pirx hatte lange nach einer Stelle gesucht, wo er die Kladde verbergen konnte. Er hatte sie wohl an die fünfzehnmal versteckt – im Schuh unter der Ferse, zwischen beiden Socken, im Schaft, in der Innentasche der Kombination, in dem kleinen Sternatlas, den man mitnehmen durfte ... Auch ein Brillenfutteral hätte sich gut geeignet, aber erstens hätte es riesengroß sein müssen, und zweitens trug er keine Brille. Als Brillenträger – das fiel ihm erst ein wenig später ein – hätte man ihn im Institut gar nicht aufgenommen.
    Er stand also auf dem stählernen Podest und wartete auf den Chef und die beiden Instrukteure, die sich aus irgendeinem Grunde verspäteten. Es war bereits neunzehn Uhr siebenundzwanzig. Der Start war auf neunzehn Uhr vierzig angesetzt. Ein Stückchen Heftpflaster müßte man haben, dachte Pirx. Damit könnte man sich die Kladde unter den Arm kleben. Der kleine Yerkes soll das versucht haben.
    Ich bin kitzlig! soll er geschrien haben, als der Instrukteur ihn berührte. Er hatte eben Glück ... Aber er, Pirx, sah nicht so
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