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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären
Autoren: Bill Bryson
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Neben dem Eingang zur Tankstelle stand ein Automat.
    Er überlegte einen Moment. »Nein«, sagte er. »Nachher vielleicht.«
    Es war ungewöhnlich für Katz, normalerweise stürzte er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit überschwenglicher Begeisterung auf Cola und Fastfood, aber ich konnte ihn ganz gut verstehen. Es ist immer wie ein leichter Schock, wenn man den Trail verläßt und kurzzeitig in die Welt der Bequemlichkeit hineinversetzt wird, in der es Wahlmöglichkeiten gibt. Diesmal aber war es anders. Diesmal sollte es für immer sein. Wir wollten unsere Wanderschuhe an den Nagel hängen. Von jetzt ab sollte es immer Cola geben, ein weiches Bett, eine heiße Dusche und was man sich sonst noch so wünscht. Jetzt herrschte keine Not mehr. Eine überwältigende Vorstellung.
    Es gab kein Motel in Milo, aber man empfahl uns eine Pension, die sich Bishop’s Boarding House nannte, ein großes, weißes Haus in einer hübschen, baumbestandenen Straße mit breiten Vorgärten und soliden alten Villen – die Sorte, bei denen die ehemaligen Kutscherhäuser mit Quartier für die Hausangestellten im ersten Stock in Garagen umgewandelt worden waren.
    Die Besitzerin, Joan Bishop, begrüßte uns herzlich und mit einer freundlichen Geschäftigkeit. Sie war eine muntere, weißhaarige Dame mit einem schweren Ostküstendialekt, und als sie an die Tür kam, wischte sie sich die mehlbestaubten Hände an der Schürze ab und bat uns mit unseren verdreckten Rucksäcken ohne einen Anflug von Mißbilligung in ihre blitzsaubere Diele.
    Es roch nach selbstgebackenem Kuchen, nach selbstgezüchteten Tomaten und nach frischer, von Ventilatoren und Klimaanlagen verschonter Luft – altmodische Sommergerüche. Sie nannte uns »Jungs« und benahm sich, als hätte sie uns seit Tagen, ja seit Jahren erwartet.
    »Meine Güte, Jungs, wie seht ihr denn aus!« gluckste sie vor Erstaunen und Freude. »Als hättet ihr schwer mit Bären gekämpft.«
    Wir müssen wirklich einen hübschen Anblick geboten haben. Katz war von seinem angstvollen Herumirren im Wald geradezu blutüberströmt, und die Erschöpfung stand uns ins Gesicht geschrieben.
    »Geht erst mal nach oben, Jungs, und wascht euch. Dann kommt runter auf die Veranda, und ich mache euch in der Zwischenzeit einen Eistee. Oder wollt ihr lieber Limonade? Egal, ich stelle beides hin. Und jetzt ab mit euch!« Mit diesen Worten scheuchte sie uns nach oben.
    »Danke, Mom«, murmelten wir ein bißchen verwirrt, aber dankbar.
    Katz war augenblicklich wie verwandelt – so daß er sich vielleicht ein bißchen zu sehr wie zu Hause fühlte. Ich kramte gerade müde ein paar Sachen aus meinem Rucksack, als er plötzlich ohne anzuklopfen in meinem Zimmer stand und schnell die Tür schloß. Er war ganz aus der Fassung. Er war nur mit einem in der Eile um die Hüften gewickelten Handtuch bekleidet.
    »Eine kleine alte Dame«, sagte er völlig verdutzt.
    »Wie bitte?«
    »Im Flur ist eine kleine alte Dame«, sagte er.
    »Das ist schließlich eine Pension«, sagte ich.
    »Ach ja, das hatte ich ganz vergessen.« Er öffnete die Tür einen Spalt breit, spähte hinaus und verschwand, ohne sich weiter darüber auszulassen.
    Nachdem wir geduscht und uns umgezogen hatten, setzten wir uns zu Mrs. Bishop auf die Veranda, sanken dankbar in die großen alten Gartenstühle und streckten die Beine von uns, so wie man es eben macht, wenn es heiß ist und man müde ist. Ich hoffte, Mrs. Bishop würde uns erzählen, wie viele Wanderer sie schon bei sich aufgenommen hätte, die sich dem Appalachian Trail ebenfalls geschlagen gegeben hatten, aber soweit sie sich erinnerte, waren wir die ersten.
    »Gestern stand in der Zeitung, ein Mann aus Portland ist auf den Katahdin geklettert, um auf dem Gipfel seinen achtundsiebzigsten Geburtstag zu feiern«, sagte sie, um ein Gespräch anzufangen.
    Wie man sich vorstellen kann, baute mich das unglaublich auf.
    »Bis dahin werde ich es wohl auch nochmal versuchen«, sagte Katz und fuhr sich mit dem Finger über die Schrammen auf seinem Unterarm.
    »Der Berg läuft jedenfalls nicht davon, Jungs«, sagte sie. Da hatte sie natürlich recht.
    Wir aßen in der Stadt in einem beliebten Restaurant und machten anschließend einen Bummel, denn es war ein lauer, angenehmer Abend. Milo war auf reizende Weise ein hoffnungsloser Ort – wirtschaftlich gesehen aussichtslos weit ab vom Schuß, aber irgendwie liebenswert. Es gab einige sehr schöne Wohnviertel und eine imposante Feuerwache.
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