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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären
Autoren: Bill Bryson
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gemerkt, daß er falsch gegangen war. Ich hatte ihm gesagt, der Weg zum Cloud Pond führe über leichtes und ebenes Gelände.
    Ich kletterte vorsichtig den Hang hinunter, rief in Abständen Katz’ Namen und befürchtete das Schlimmste – es war eine Klippe, die man leicht hinunterstürzen konnte, besonders, wenn man mit einem schweren sperrigen Rucksack beladen war und mit den Gedanken woanders war, aber ich entdeckte keine Spur von Katz. Ich folgte dem Trail noch drei Kilometer weiter durch das Tal und wieder hinauf zu einem hohen Felsgipfel, der sich Fourth Mountain nannte. Oben bot sich ein unglaublich weiter Ausblick in alle Richtungen, die Wildnis war mir noch nie so riesig erschienen. Ich rief wieder mehrmals laut Katz’ Namen, aber ich erhielt keine Antwort.
    Mittlerweile war es später Nachmittag, Katz war jetzt schon vier Stunden ohne einen Tropfen Wasser. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ein Mensch bei dieser Hitze ohne Wasser auskommen konnte, aber ich wußte aus eigener Erfahrung, daß es nach einer halben Stunde Marschierens ziemlich ungemütlich werden konnte. Mir sank der Mut bei dem Gedanken, daß er von oben vielleicht einen anderen See entdeckt hatte – in dem Tal, über 600 Meter unter uns, lag verstreut ein halbes Dutzend Seen – und in seiner Verwirrung beschlossen hatte, querfeldein zu gehen. Auch wenn er nicht verwirrt war, hatte ihn vielleicht der Durst dazu getrieben, sich auf den Weg zu einem dieser Seen zu machen. Sie sahen herrlich und einladend aus. Der nächste war nur drei Kilometer weit entfernt, aber es gab keinen angelegten Pfad dorthin, und man hätte einen gefährlichen Abhang im Wald hinunterklettern müssen. Mitten im Wald, ohne jede Orientierung, kann man einen Weg leicht um 1.000 Meter verfehlen. Andererseits konnte es auch passieren, daß man nur 50 Meter davon entfernt war und es nicht wußte, so wie es uns ein paar Tage vorher mit dem Pleasant Pond ergangen war. Und wenn man sich in diesen riesigen Wäldern erstmal richtig verirrt hatte, konnte man ohne weiteres darin den Tod finden. So einfach war das. Es würde niemand kommen, um einen zu retten. Kein Hubschrauber würde einen durch die dichte Blätterdecke hindurch von oben sehen. Keine Rettungsmannschaften würden einen finden. Wahrscheinlich würde nicht mal eine aufbrechen, um nach einem zu suchen. Es gab Bären in dieser Gegend, Bären, die wahrscheinlich noch nie einen Menschen gesehen hatten. Ich bekam regelrecht Kopfschmerzen bei dem Gedanken, was Katz alles zugestoßen sein konnte.
    Ich ging zurück zu der Abzweigung zum Cloud Pond und hoffte, inständiger als ich je in meinen Leben etwas gehofft hatte, daß er auf seinem Rucksack saß und es eine witzige, von mir bisher nur noch nicht berücksichtigte Erklärung für alles gab, etwa, daß wir permanent aneinander vorbeigelaufen waren, wie in einer Slapstick-Komödie: Er wartet verdutzt neben meinem Rucksack, geht dann los und sucht mich, ich komme eine Sekunde später, warte verwundert auf ihn und gehe dann auch los – aber ich ahnte, daß er nicht da sein würde, und so war es auch. Es war fast dunkel, als ich an die Stelle kam. Ich schrieb nochmal eine Nachricht und legte sie unter einen Stein mitten auf dem Trail – nur für den Fall –, setzte den Rucksack auf und ging runter zum See, wo eine Hütte stand.
    Ironischerweise handelte es sich um den schönsten Lagerplatz, den ich je am Appalachian Trail gesehen hatte, und ausgerechnet hier war Katz nicht dabei. Cloud Pond war ein zirka 80 Hektar großes, ruhiges Gewässer, umgeben von einem dunklen Wald aus Nadelbäumen, deren Wipfel wie spitze, schwarze Silhouetten in den fahlen, blauen Abendhimmel ragten. Die Hütte, die ich ganz für mich allein hatte, stand 30 bis 40 Meter vom Seeufer entfernt und etwas erhöht. Sie war ziemlich neu und absolut sauber. Nebenan gab es ein Plumpsklo. Es war perfekt. Ich legte meine Sachen auf das Schlafpodest und ging ans Ufer, um Wasser zu filtern, damit ich das nicht morgen früh machen mußte. Dann zog ich mich bis auf die Shorts aus, stapfte ein paar Schritte in das dunkle Wasser hinein und wusch mich mit meinem Stirnband. Wenn Katz hier gewesen wäre, hätte ich mich auch getraut zu schwimmen. Ich versuchte, nicht an ihn zu denken, versuchte zumindest, mir nicht vorzustellen, wie er einsam im Wald umherirrte. Ich konnte jetzt ohnehin nichts für ihn tun.
    Statt dessen setzte ich mich auf einen Stein und schaute mir den Sonnenuntergang an. Der See war sagenhaft
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