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Philosophische Anthropologie

Philosophische Anthropologie

Titel: Philosophische Anthropologie
Autoren: Gerald Hartung
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System
    Von diesem Endpunkt aus betrachtet können wir durchaus zu dem Schluss kommen, dass der Mensch die Fehlerstelle in einer technologisch optimierten Umwelt ist. Diese ist dann frei von Störungen, wenn der menschliche Organismus den Anforderungen seiner zweiten Natur, der künstlich erzeugten Kulturwelt, vollständig entspricht. Das aber kann erst gelingen, wenn sich der Mensch im Prozess des »human enhancement« von seiner eigenen Entwicklungsgeschichte abgekoppelt hat und die Fehlerquellen seines naturhaften Lebens – Bedürfnisstruktur, Krankheit, Tod usw. – hinter sich gelassen hat. So fantastisch diese abstrakte Überlegung auch klingen mag, sie ist doch im Wesentlichen seit den Anfängen der Kulturmenschheit in dem Gedanken, die Grundfragen der menschlichen Existenz durch die Erfüllung aller Bedürfnisse, die Aufhebung des physischen Leidens und die Erlangung der Unsterblichkeit zu lösen, eine uns bekannte und immer gegenwärtige Wunschvorstellung.
    So gesehen ist auch die fantasievollste Vision des »human enhancement« Teil einer Fortsetzungsgeschichte des »homo creator«, der letztendlich seine erworbene technische Schöpfungsmacht auf seine Kreatürlichkeit anwendet und diese aufzuheben strebt. Was auf den ersten Blick wie das Ende aller Philosophie des Geistes aussieht, offenbart sich auf den zweiten Blick als deren grandiose Zukunft. Denn einerseits hat der menschliche Geist seine eigene Evolution entdeckt und ist im Begriff, sich zum Gestalter der Evolution zu machen. Und andererseits steht die technologische Entwicklung an einem Punkt, an dem in Aussicht gestellt wird, dass es uns irgendwann gelingen wird, der Materie das Denken beizubringen und sogar der Maschine das Leben zu verleihen.
    Letztere Vorstellung ist als Forschungsprogramm erst wenige Jahre alt, obwohl es im Bereich der Künstlichen-Intelligenz-Forschung seit einem halben Jahrhundert darum geht, Rechensysteme zu entwickeln, die komplexe Strukturen [122] menschlichen Denkens, Wahrnehmens und Erlebens simulieren können. Hinter dem Forschungsprogramm zur »organic IT« steht die Vorstellung, dass die zukünftige Lebenswelt des Menschen durch das Einwirken computergestützter Systeme geprägt sein wird, deren komplexe Interaktion nur beherrschbar sein wird, wenn die Muster ihrer Interaktion am Leitbild des Menschen ausgerichtet sind (»organic computing«). So ist zum Beispiel das Programm des »automatic computing« an der Funktionalität des vegetativen Nervensystems orientiert. In Analogie soll ein Management von verschiedenen Rechensystemen entwickelt werden, das auf Veränderungen in der Umwelt des Systems selbstständig reagiert und so die Funktionalität des Systems aufrechterhält. Der hierfür erforderliche Grad an Selbstorganisation findet sich vorbildhaft in der organischen Welt des Lebendigen. In Sachen »Selbstheilung« bei Störungen ist zurzeit noch ein schlichter Wattwurm jedem hochkomplexen Computersystem überlegen.
    Erst wenn Maschinen sich selbst denken, entwerfen und auch in ihrem Verhalten korrigieren können, sind sie prinzipiell ebenso wie organische Wesen zu unendlichen Variationen fähig. In einem ersten Schritt ist die Künstliche-Intelligenz-Forschung daher in den letzten Jahren aus dem Szenario des Schachspiels heraus auf den Fußballplatz getreten. Das ist ein erster Schritt, um das Grundproblem dieser Forschungsrichtung zu lösen, wie es bereits Turing formuliert hat. Es muss nämlich darum gehen, eine Maschine zu entwerfen, die über ihren Wahrnehmungsapparat Eindrücke der Außenwelt aufnimmt und auf diese Eindrücke im Zusammenspiel von Wahrnehmung und Verstand reagiert. Fußball spielende Roboter, sich selbst steuernde Staubsauger usw. sind zumindest schon in der Lage, das Zusammenspiel mehrerer unterschiedlicher Anforderungen zu bewältigen. Von hier aus ist es allerdings noch ein Fernziel der technischen Entwicklung, ein Rechnersystem zu schaffen, das die Funktionen von Organismen [123] (selbstlenkend, selbstgenerierend usw.) übernimmt und sich selbst entwickeln kann.
    Die biotechnologische Forschung lebt von den überlieferten Träumen der Menschheit und arbeitet an ihrer Realisierung. In einer entwicklungsoffenen Zukunft könnte an der Schnittstelle von natürlicher Künstlichkeit technologisch optimierter menschlicher Organismen und künstlicher Natürlichkeit organisch-technologischer Systeme aus der Analogie von Mensch und Maschine eine Gleichung werden. An diesem Fernziel angekommen,
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