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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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die Radiowellen aussenden und mit deren Hilfe sie rechtzeitig deutsche Fliegerangriffe ausmachen können, um ihre Abwehr aufsteigen zu lassen und die Ziele zu verteidigen. Er hat uns weitergegeben, was die Briten über die deutsche Schlachtordnungen wussten, über ihre Verluste und die Waffen, die sie im Polenfeldzug und im Frankreichfeldzug eingesetzt haben, die mangelhafte Panzerung ihres Panzerkampfwagens I und die schwerere Panzerung des Panzerkampfwagens II, die zulasten der Mobilität geht.«
    »Hochgeachteter Josef Wissarionowitsch«, sagte ich, und meine zitternde Stimme kam nicht über ein Murmeln hinaus. »Es dient den Zwecken der Briten, uns mit Informationen über die deutschen militärischen Schwächen zu versorgen. Nach der Niederlage des britischen Expeditionskorps in Flandern und der erniedrigenden Flucht aus Dünkirchen ist es Londons Albtraum, wir könnten einen Sonderfrieden mit Hitler schließen, falls Sie, hochgeachteter Josef Wissarionowitsch, befinden sollten, dass die Engländer zu schwach sind, um ihre Insel gegen eine deutsche Invasion zu verteidigen.«
    Der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch sagte: »Genossen, wir haben das große Glück, nicht nur eine Koryphäe in Sachen internationale Beziehungen unter uns zu wissen, sondern auch eine der weltweit führenden Expertinnen für Militärstrategie.«
    N. Chruschtschow gluckste. »Welch ein Segen.«
    Der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch sah den zu meiner Linken sitzenden Hauptmann Gussakow an. »Gussakow, Sie haben Modinskajas Schlussfolgerungen gegengezeichnet.«
    Gussakow erhob sich mühevoll von seinem Stuhl. »Genosse Stalin, es ist eine Übertreibung zu sagen, ich hätte ihre Schlüsse gegengezeichnet. Meine Unterschrift besagt nur, dass sie in ihrem Bericht korrekt aus den in Fall 5581 enthaltenen Telegrammen, Mitschriften und Ereignisberichten zitiert. Die hier vorgebrachten Ansichten sind allein ihre Sache.«
    »Sie beschuldigen mich der Übertreibung?«, fragte der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch.
    »Ich habe meine Worte gewählt, ohne nachzudenken.« »Vielleicht haben Sie auch Modinskajas Schlussfolgerungen gegengezeichnet, ohne nachzudenken.« Der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch wandte sich an Oberst Sudoplatow, der ähnlich steif auf die Beine kam. Es war so still im Raum, dass ich den hochgeachteten Josef Wissarionowitsch an seiner Pfeife saugen hören konnte. »Sudoplatow, Sie haben Gussakows Arbeit gegengezeichnet, indem Sie Ihr ›S‹ oben rechts auf jede Seite von Modinskajas Bericht gesetzt haben.«
    Oberst Sudoplatow räusperte sich. Er hatte merklich eine trockene Kehle. »Ich habe meine Initialen auf den von Hauptmann Gussakow gegengezeichneten Bericht Modinskajas gesetzt. Ich darf festhalten, dass es eines von Hunderten von Dokumenten war, die jeden Tag über meinen Schreibtisch gehen. Meine Initialen sind in keiner Weise ein Zeichen für meine Unterstützung ihrer Ansichten, sondern nur dafür, dass die Techniken zur Prüfung des Falles 5581 durch die Unterschrift eines erfahrenen NKWD-Offiziers beglaubigt waren.«
    »Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen«, sagte der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch mit einem Knurren, »dass über
meinen
Tisch täglich Tausende von Dokumenten gehen?«
    Oberst Sudoplatow beugte den Kopf. »Mit allem Respekt, Genosse Stalin, es war nicht meine Absicht, etwas anderes anzudeuten.«
    Und dann passierte etwas Seltsames, das ich nicht erklären, sondern nur wiedergeben kann. Zu seiner Demütigung bekam Oberst Sudoplatow einen Schluckauf. Sein unterdrücktes Keuchen hörte sich an, als würgte er an einem Knochen. Stalin sah den Genossen Oberst fast mit so etwas wie Mitgefühl an. »Hören Sie auf damit«, sagte er mit einer Stimme, die nicht ohne Güte war. Und Oberst Sudoplatow gehorchte. Sein Schluckauf hörte im gleichen Moment auf.
    Der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch wartete einen Moment, um sicherzugehen, dass der Schluckauf wirklich vorbei war. Dann sagte er: »Wenn ich mein ›S‹ oben rechts auf eine Seite schreibe, bedeutet das, Sudoplatow, dass ich mit ihrem Inhalt einverstanden bin.« Der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch beugte sich vor und klopfte mit seiner Pfeife auf die Tischplatte, um seine Worte zu unterstreichen. »Erlauben Sie mir, Ihnen ein Beispiel zu geben. Das Letzte, was mir der Genosse Beria jeden Abend noch bringt, ist die Liste der Umstürzler und Verräter, die am nächsten Morgen erschossen werden sollen. Gelegentlich streiche
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